Zwei Gottesdienste  – Rückblick und Vergleich

 

Seit einigen Jahren gehe ich regelmäßig in den Gottesdienst unserer Gemeinde, fast immer mit großer Freude und mit Gewinn. In der langen Kette der inzwischen vergangenen Sonntage sind mir zwei besonders gegenwärtig: der vorletzte und der gestrige. Sie unterschieden sich stark voneinander.

 

Der Gottesdienst am vorletzten Sonntag gefiel mir sehr: die Orgel spielte vertretungsweise jemand aus einer Nachbargemeinde, der sein Fach versteht und sich sorgfältig vorbereitet hatte. Neu war außerdem, dass die Gemeinde beim "Kyrie eleison" mitsang. Dies gab dem Ganzen ein zusätzliches, feierliches Gepräge. Die Predigt hielt unser Pastor, wie wir es von ihm gewöhnt sind: eindringlich, themenbezogen, rhetorisch bewundernswert. Er verkündete Gottes Wort ohne den Versuch, selber zu glänzen und sich hervorzutun. Dabei strahlte er lebendigen Glauben und Wohlwollen gegenüber seinen Zuhörern aus; auch das kennen wir von ihm und schätzen es sehr.

 

Der gestrige Sonntag verlief nun ganz anders als sein Vorgänger. Unser Hausmusiker, von Beruf Schlagzeug-Spezialist und die Orgel nicht beherrschend, war wieder aus dem Urlaub zurück, brauchte sich aber diesmal eingangs nicht zu betätigen. Anstelle des Orgelvorspiels sangen zwei junge Männer aus der Gemeinde ein selbstverfasstes  und  -komponiertes Lied. Obwohl durch überlautes, elektronisch verstärktes Gitarrenspiel der Text kaum zu verstehen war, erhielten sie verdienten Beifall.

 

Dann kam an der üblicherweise vorgesehenen Stelle die Predigt. Gehalten wurde sie nicht vom Pastor, sondern von einem jüngeren Mann, den kaum jemand kannte. (Dem Vernehmen nach soll er Theologie studiert haben, danach aber beruflich in die Wirtschaft gegangen sein. Ob das stimmt, weiß ich nicht.)

 

Er war das krasse Gegenteil zu unserem Pastor. Ziemlich von Anfang an gestikulierte er wild herum und fuchtelte mit den Armen, drehte sich und rannte unmotiviert hin und her. Ja einmal stieg er sogar auf einen Stuhl und stieß dabei einen lauten Schrei aus, der nicht nur mich erschreckte. Sein Thema waren die Macht der Worte und die Möglichkeiten für Missverständnisse je nach den Umständen, unter denen sie gesagt und aufgenommen werden. Wer auch nur etwas Lebenserfahrung hat, kannte das alles; es brachte im Grunde nichts Neues. Zum Glück ging er nicht auch noch auf die Körpersprache ein, die bei ihm besonders ausgeprägt und mir unangenehm war, und auf die Wirkung von lautem und leisem Sprechen. Dies alles gehörte nicht in den Gottesdienst, ebenso wenig wie eine kabarettistische Einlage des Kreativ-Teams, die die Leute zum Schmunzeln über gewisse menschliche Schwächen bringen sollte und ganz gut in einen Bunten Abend gepasst hätte. Das Wort Gottes, die Bibel, kamen in seiner Predigt zwar vor, doch bildeten sie in meinen Augen kaum mehr als eine Randerscheinung oder Pflichtübung. Was man aus der als Predigttext ausgewählten Stelle, bei der Jesus nach seiner Kreuzigung und Auferstehung auf zwei Wanderer trifft, sie begleitet und erst ganz zum Schluss von ihnen staunend erkannt wird,1 wirklich lernen kann, wurde nicht klar.

 

Und dann kamen nach einer Weile wieder diese viel zu lauten modernen Kirchenlieder, bei denen ich Kopfschmerzen bekomme, ganz nervös werde und am liebsten flüchten möchte. Ein Teil der Leute vor mir und um mich herum fingen an, sich zu wiegen, während sie sangen (ich bin versucht zu sagen: sie fingen an zu schunkeln) oder sich rhythmisch auf- und ab zu bewegen. Es machte ihnen offenbar Spaß, und man kann sich fragen, ob sie dabei noch an die Verherrlichung Gottes oder nicht vielmehr an Disko-Besuche in ihrer Jugendzeit dachten.


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1 Lukas24,13-35

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