Über "schwierige" Stellen in der Bibel

Es gibt Menschen, die alles, was in der Bibel steht, ohne Ausnahme für wahr halten, und andere, die ihr im wesentlichen nur symbolischen oder allegorischen Wert zumessen.1

Wohl die meisten gläubigen Leserinnen und Leser der Heiligen Schrift denken nicht so extrem. Sie sind mit ihrem Urteil vorsichtig und zurückhaltend. Viele sagen bei schwierigen Stellen nicht: "Das ist falsch oder nur ausgedacht" oder: "Das kann nicht sein", sondern: "Ich verstehe es nicht, komme damit nicht zurecht" und Ähnliches. Sie suchen den Fehler bei sich, bemerken eine gewisse Glaubensschwäche. Um dieses Gefühl der Unsicherheit zu verringern, gehen sie manchen Bibelpassagen aus dem Wege, machen einen Bogen um sie.

Ich glaube, dass das nicht nötig ist, jedenfalls nicht bei den folgenden Stellen:

- Im Ersten Buch Mose, in der Schöpfungsgeschichte, heißt es, Gott habe die Welt in sechs Tagen erschaffen. Aus den biblischen    Geschlechtsregistern leiten fromme Juden ab, dass die Welt nur ein paar tausend Jahre alt ist; manche Christen folgen ihnen darin.
- In Psalm 36,6 steht, dass Gottes Güte so weit wie der Himmel reicht und seine Wahrheit "soweit die Wolken gehen".
- Noah rettete vor der Sintflut höchstens einige tausend Tierarten.
- Sehr oft ist in der Bibel vom "Erdkreis" die Rede. Die Erde dachte man sich als Scheibe.
- König David, der vor rund dreitausend Jahren lebte, nimmt in Psalm 139,15 an, "unten in der Erde" gebildet worden zu sein.
- Krankheiten, die man nicht zu heilen wusste, wurden für Strafen Gottes gehalten.

Dies waren die Vorstellungen eines einfachen Hirtenvolkes. Es grenzte sich von anderen Völkern kulturell ab und blieb sehr bewusst für sich. Fremde, möglicherweise weiterführende Ideen wurden abgelehnt.

Nun kann man fragen: Wer oder was zwingt uns, die alten, von der Bibel überlieferten Aussagen und Bilder vorbehaltlos zu übernehmen? Glauben wir weniger an Gott und seine Herrlichkeit, wenn wir die Welt mit unseren Augen, mit unseren Kenntnissen, unserem Wissen sehen?

Ich denke, nein. Wenn wir davon ausgehen, dass die Erde in einem sehr viel größeren Zeitraum als nur sechs Tagen entstand und weit älter ist als etwa sechstausend Jahre, zweifeln wir nicht daran, dass sie von Ihm geschaffen wurde. Wir sehen die Wolken nicht als äußerste Grenze von Gottes Machtbereich an, sondern erweitern ihn in unseren Gedanken bis ins Unendliche. Wir wissen, dass es Millionen von Tierarten gibt, von denen nur ein winziger Bruchteil in Noahs Arche gepasst hätte: dadurch sehen wir Gottes Schöpferkraft noch viel deutlicher vor uns, als es die Menschen des Alten Testaments taten. Und wenn wir über die Form der Erde anders denken als sie; wenn wir bei schweren Krankheiten nicht von vornherein resigniert und schuldbewusst aufgeben, dann kann das nach meiner Auffassung ebenfalls nichts sein, was Gott herabsetzt und seinen Zorn hervorruft.

Auf Grund dieser Beispiele, zu denen sich weitere angeben lassen, halte ich es für zulässig, dass man bestimmte Stellen in der Bibel nicht wörtlich nimmt. Damit wird sie als Ganzes nicht in Frage gestellt und gilt auch nicht nur "symbolisch". Sie entspricht in manchen Einzelheiten einem veralteten Kenntnisstand, bleibt aber in vielem anderen auch heute noch wahr.

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Dabei geht es nicht nur um das in der Heiligen Schrift enthaltene Weltbild. Anderes ist von größerer Bedeutung.

Hierzu gehört das Problem des Opfertodes Jesu Christi, eines Kernstücks unseres christlichen Glaubens. Nicht leicht zu verstehen ist, dass Gott, der die Menschen schwach und sündig schuf, ihretwegen seinen eigenen, sündenlosen Sohn auf furchtbare Weise am Kreuz sterben lässt.

Ein Blick auf die Geschichte Israels hilft hier weiter.

Fehlverhalten, ob gegenüber Gott oder Menschen, verlangt, wenn nicht besondere, mildernde Umstände vorliegen, nach Strafe; davon war man damals überzeugt, stärker noch als heute. In Israel herrschte die Sitte, dass man sich von der Strafe für begangene Sünden freikaufen konnte, und zwar, modern ausgedrückt, kollektiv. Das ging so vor sich, dass die Juden einmal im Jahr einen unschuldigen Ziegenbock (Tiere können, im Gegensatz zu uns Menschen, nicht sündigen!) symbolisch mit ihren Sünden beluden und in die Wüste trieben, wo er verdurstete oder von Raubtieren gefressen wurde. Sie hofften, dass ihnen durch das Töten des "Sündenbocks" von Gott vergeben wird. Jesus lehnte das ab, denn das Opfern von Tieren, um Gott gnädig zu stimmen, war längst zum bloßen Ritual verkommen und wurde von einigen Propheten bereits Jahrhunderte zuvor scharf kritisiert (1.Samuel15,22; Jeremia7,22; Hosea6,6).

Jesus opferte sich selbst, um die Strafe für die Sünden derjenigen zu bezahlen, die an Ihn glauben.

Sein Handeln ist bewundernswert, ebenso, wie er sein Leiden ertrug. Er war von Gott als Mensch zur Erde gesandt worden; er wusste, was ihm bevorstand. Er war unschuldig. Zeitweise fürchtete er sich vor dem grausamen Tod wie ein Mensch, doch hielt er tapfer durch bis zum qualvollen Ende. Gehorsam erfüllte er eine Aufgabe, die ihm von Gott, dem Vater, gestellt war.

Wenn wir daran glauben und das Opfer seines Sohnes dankbar annehmen, begnadigt uns Gott, trägt er uns, was wir falsch machten, nicht länger nach. Der Heilige Geist hilft, unterstützt und leitet uns in diesem Glauben.2

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Dass Jesus Christus, unser Herr und Erlöser, nachdem er sich vorübergehend im Totenreich aufhielt, wieder lebendig wurde, dass er sich danach den Jüngern und anderen Menschen zeigte und einige Zeit später zu seinem Vater in den Himmel auffuhr, gehört meines Erachtens nicht zu den schwierigen Stellen der Bibel.

Gewiss war es ein Wunder und ist als solches rational nicht zu erklären, doch stimmt es mit der Grundeinstellung überein, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. In unserem christlichen Glaubensbekenntnis sprechen wir: "Ich glaube ... an die Auferstehung der Toten und das Ewige Leben." Jesus ging uns voran, und wenn wir an ihn glauben, werden wir, nachdem wir gestorben sind, dem Heiland begegnen.3

Bis dahin gehören ihm, Gott und dem Heiligen Geist, solange wir leben, unsere Liebe und Verehrung, auch wenn wir manches weiterhin nicht oder nicht vollständig verstehen.

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Zusatz: Auch in den Wissenschaften gibt es noch viele offene Fragen über die Entstehung und das Alter der Erde und des Weltalls. Dabei wird oft der Eindruck erweckt, diese Fragen seien bereits hieb- und stichfest beantwortet. In Wirklichkeit handelt es sich bei den scheinbaren Antworten lediglich um Vermutungen und Hypothesen. Die Vergangenheit, auf die sie sich beziehen, lässt sich aus mehr oder weniger geeigneten Experimenten nur indirekt erschließen; Sicherheit, dass alles so war, wie behauptet, besteht nicht. Annahmen über die Zukunft des Universums sind prinzipiell ungewiss. Allein Gott kennt beides: was hinter uns liegt, und was kommt.

Der Mensch in seiner geistigen und physischen Begrenztheit kann immer nur soviel erkennen, wie Gott ihm zubilligt. Das war in den einzelnen Epochen und Ländern nach Umfang und Tiefe sehr verschieden.4 5 Wie weit es noch gehen wird, lässt sich nach den bisherigen Erfahrungen nicht im entferntesten abschätzen.

Bei allen menschlichen Grübeleien und Versuchen, hinter Gottes Geheimnisse zu kommen und auch die Bibel bis ins letzte zu verstehen, gilt das Prophetenwort (Jesaja 55,8):
"Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, spricht der Herr."

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1 Über symbolisches Denken vgl. http://home.arcor.de/elias_erdmann/, hier insbesondere den Abschnitt "Die drei Ebenen der Schöpfung".
2 Die Frage, warum Jesus sterben musste, wird an zahlreichen Stellen im Internet viel ausführlicher und gründlicher behandelt, als es mir hier in Kürze möglich ist. Eine davon ist diese.
3 Dieses "Vorangehen" thematisiert und begründet biblisch Jörg Zink in seinem Buch "Auferstehung" auf S. 101.
4 Hierzu eine Stimme aus dem alten Griechenland: "Nicht von Anfang an haben die Götter den Sterblichen alles Verborgene gezeigt, sondern allmählich erst finden diese suchend das Bessere." (Xenophanes von Kolophon, ca. 580-478 v. Chr.)
5 Und ein Zitat von Buddha (um 560 - 480 v. Chr.): "Glaubt nicht bedingungslos den alten Manuskripten, glaubt überhaupt nicht an etwas, nur weil die Leute daran glauben - oder weil man es Euch seit Eurer Kindheit hat glauben lassen. Wendet an alles Euren Verstand, und wenn Ihr es analysiert und für Euch und jeden anderen für gut befunden habt, dann könnt Ihr daran glauben, danach leben und Eurem Nächsten helfen, auch danach zu leben." (Aus dem Internet ohne genaue Quellenangabe)

Eine sprachlich bedingte Verständnisschwierigkeit
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