Über Religion

Wir Menschen können sehen, fühlen, denken; wir können sprechen, haben ein Gedächtnis und manches mehr. Dies befähigt uns, Bilder und Begriffe zu verwenden, wenn wir uns über bestimmte Dinge unterhalten oder allein über sie nachsinnen. Vielen geht es dabei so, dass sie den Eindruck gewinnen, dass etwas über ihnen steht, auf das sie selber keinen Einfluss haben. Es beschert ihnen das Leben selbst, die einzelnen Lebensumstände und schließlich den Tod. Ihm möchten die meisten aus dem Wege gehen; sie fürchten ihn, wollen nicht sterben.

Diese, auf den Menschen einwirkende "höhere Gewalt" wird von denen, die ihre Existenz anerkennen und sie nicht leugnen, Gott genannt; oftmals stellen sie sich auch mehrere Götter oder sogar viele vor.1) Und der Glaube an Gott wird mit einem Fremdwort, das etwas mit "Bindung" zu tun hat, als Religion bezeichnet.2) (Ein mir bekannter evangelischer Pastor meinte, der christliche Glaube sei keine Religion.3))

Die religiösen Vorstellungen, die sich die Menschen im Laufe der Zeit über die einzelnen Länder verteilt machten und immer noch machen, differieren weit. Das liegt daran, dass Gott alles übersteigt, was in unserer Erfahrungswelt vorkommt. Dennoch möchten wir ihn oft mit Worten und Begriffen aus ihr beschreiben. Dies geschieht mehr oder weniger direkt und ehrfurchtsvoll. Die antiken Griechen zum Beispiel hatten einen regelrechten "Götterhimmel"; er wurde von "Unsterblichen" bevölkert, die sich vielfach so verhielten wie Menschen, indem sie eifersüchtig, machtbesessen, verräterisch, grausam waren; manches wirkte vielleicht sogar ein wenig lächerlich. (Dazu eine Ergänzung, auf dieser Seite ganz unten.)

Die Israeliten des Alten Testaments gingen unterschiedlich vor: einerseits war ihnen Gott so fern und hoheitsvoll, dass sie sich nicht einmal getrauten, ihm einen bestimmten Namen zu geben bzw. diesen auszusprechen; andererseits konnte Gott nach ihren Vorstellungen unter anderem sogar "riechen" - den "lieblichen Duft" des bei Opfern verbrannten Fleisches nämlich.4) Er "redete" mit manchen Menschen, den Propheten, die das, was sie von ihm "hörten" (oder im Traum erlebten), an das gläubige Volk weitergaben. Oft waren das strenge Verweise und Strafandrohungen für falsche, von Gott nicht gewollte Lebensweise.

Vieles von dem, was die Menschen über Gott (oder die Götter) dachten, wurde in Heiligen Büchern aufgeschrieben; eines davon ist die Bibel.

Die meisten Religionen - auch hier gibt es Ausnahmen - behaupten von sich, die einzig wahre zu sein. Menschen mit anderen Gottesvorstellungen und Ritualen wurden und werden als "Heiden", "Gottlose" oder "Ungläubige" bezeichnet. Hieraus resultierten Glaubenskriege, die oft Jahrhunderte andauerten und zum Teil bis heute nicht beendet sind. Religiöse Kampfvorstellungen stellen besonders in unserer Zeit eine Gefahr für die gesamte Menschheit dar.

Wie an anderer Stelle in diesen Internetseiten erwähnt, bin ich der Ansicht, dass Gott sich den Menschen im Laufe der Zeit nur bruchstückhaft und ihrem jeweiligen geistigen Fassungsvermögen entsprechend offenbart hat. Sinnliche Erfahrungen, gedanklicher Austausch mit anderen Völkern (und das Gegenteil davon: strenge, auf sich bezogene Isolation, die alles Fremde ablehnt), der gesamte kulturelle Hintergrund spielen dabei eine große Rolle. Die alten Völker hatten von der Beschaffenheit der Welt und ihre Entstehung andere Vorstellungen als wir; auch ihre Ethik war in Teilen anders. So denke ich, dass die einzelnen Religionen nur verschiedene Annäherungsstufen an Gott und sein wahres Wesen darstellen.

Im Vergleich zur christlichen Religion weiß ich von den anderen nur sehr wenig oder gar nichts. Sie hat, als ich sie näher kennenlernte, mein Leben und Verhalten in mancherlei Hinsicht günstig verändert und mich mit Menschen zusammengeführt, denen ich ohne sie nicht begegnet wäre. Sie gibt mir inneren Frieden und Antwort auf dringende Lebensfragen. So bin ich für den Glauben an Gott und Jesus Christus sehr dankbar.

Dabei ist mir bewusst, wie das Christentum vor tausend und mehr Jahren in unser Land kam: nicht selten mit Feuer und Schwert; es gab Zwangstaufen und Massenhinrichtungen bei denen, die sich dem neuen Glauben nicht anschließen wollten. Auch andere Länder5) und Kontinente hatten schwer darunter zu leiden. Die christliche Religion diente der Kirche und weltlichen Herrschern oft zu eigennützigen Zwecken und Machtmissbrauch; nicht nur christliche Märtyrer gab es, die von Anhängern anderer Glaubensrichtungen umgebracht wurden, sondern auch solche, die durch Christen ihr Leben lassen mussten, oftmals von ihnen grausam gefoltert und lebendig verbrannt. Es gab in der langen Geschichte der Kirche schreckliche Eroberungskriege im Zeichen des Kreuzes und Phasen geistiger Unterdrückung, die erst in neuerer Zeit überwunden werden konnten. Vielfach geschahen diese Verfolgungen und Ausrottungsaktionen angeblicher "Ketzer" unter dem Vorwand der Liebe zu unserem Erlöser Jesus Christus und zu Gott - in Wirklichkeit waren sie schlimme Perversionen dessen, was im Neuen Testament steht, auf dem der christliche Glaube beruht.

Sie sind auch der Grund dafür, dass viele Heutige der Kirche und der christlichen Religion kritisch und ablehnend gegenüberstehen. Ich selber bin der Ansicht, dass man die ursprüngliche, reine Lehre nicht mit ihrem Missbrauch in einen Topf werfen und verwechseln darf. Viele andere gute und nützliche Dinge können ebenfalls missbraucht werden; dies spricht jedoch nicht von vornherein gegen sie. So ist es auch mit der christlichen Religion. Man muss, denke ich, auf deren Quellen, auf ihre Grundlagen zurückgehen und dabei offen sein für Entwicklungen, die alte Missverständnisse und schädliche Verkrustungen in vorsichtiger und respektvoller Weise abzubauen versuchen. Hierfür gibt es in unserer Zeit verschiedene Ansätze, die durchaus Beachtung verdienen.

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1) Eine berühmte Science-Fiction- Geschichte von Arthur C. Clarke aus dem Jahre 1953 knüpft daran an: Die neun Milliarden Namen Gottes.
2) Das lateinische Wort religio bedeutet in erster Linie die Verehrung und Heilighaltung des Göttlichen, aber noch vieles andere, das nicht damit zusammenhängt. Seine sprachliche Herkunft ist unklar. (Quelle: Georges, Lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Leipzig 1843, trotz seines bescheiden klingenden Namens ein dicker Wälzer)
3) In seiner diesbezüglichen Predigt stellte er einander gegenüber: Religion, gekennzeichnet durch Riten, Heilige Orte und Personen, Tradition sowie die Einstellung "Der Mensch muss", damit er Gott durch Einhaltung der Gesetze und durch Gute Werke Gott "beeindrucke" - und Beziehung3a), gekennzeichnet durch Vertrauen, Freiwilligkeit, aber auch Verbindlichkeit, Gotteskindschaft sowie Gottes unverdiente Gnade, die Er uns immer wieder erweist, obwohl wir sündig sind und es unser Leben lang bleiben. Seit dem Erscheinen Jesu sei die Epoche, für die die erstgenannten Begriffe von Bedeutung sind, zuende gegangen, und durch Ihn sei Neues entstanden, das man nicht mehr "Religion" nennen könne. (Ich hoffe, ich habe die Ausführungen des Pastors einigermaßen richtig und vollständig wiedergegeben.)
3a) oft im Internet, bes. bei Bildern, engl.: "Relationship, not Religion"
Eine sehr ausführliche Erörterung des Begriffs "Religion" und des Verhältnisses von Religion und Christentum zueinander aus katholischer Sicht findet man hier. Aus der großen Fülle der Gedanken sei eine Stelle zitiert, die die Religion sozusagen "funktional" beschreibt: was sie tut, wozu sie nach der Ansicht und den Bedürfnissen vieler da ist: "Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, von der wir kommen und wohin wir gehen?" (Aus dem Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils "Nostra aetate" über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Vorwort (Art. 1)) – Eine sehr komplizierte, wissenschaftliche Betrachtungsweise des Begriffs "Religion" (vom soziologischen Standpunkt aus) steht hier. Die einleitende Zusammenfassung ist für mich als Laien vollkommen unverständlich. – Weiteres, vor allem zum Anfang dieser Fußnote (3)), s. unten stehende Anmerkung.
4) In Wirklichkeit stinkt es fürchterlich, wenn Fleisch verbrennt. Im Internet las ich: "Auch Griechenland und Rom übernahmen später durch orientalischen Einfluss den exzessiven Gebrauch von Räucherwerk. Hier wurden tonnenweise kostbare Stoffe verbrannt, um die Götter gnädig zu stimmen und den Gestank brennenden Opferfleisches zu überdecken."
5) Nur ein Beispiel: Order des Papstes Gregor d. Gr. aus dem Jahre 599, um die "Heiden" Sardiniens zu christianisieren: "Wenn ihr feststellt, dass sie nicht gewillt sind, ihr Verhalten zu ändern, so befehlen wir, dass ihr sie mit größtem Eifer verfolgt. Sind sie unfrei, so züchtigt sie mit Prügeln und Folter, um sie zur Besserung zu zwingen. Sind sie aber freie Menschen, so sollen sie durch strengste Kerkerhaft zur Einsicht gebracht werden, wie es angemessen ist, damit jene, die sich weigern, die Worte der Erlösung anzunehmen, welche sie aus den Gefahren des Todes erretten können, durch körperliche Qual dem erwünschten gesunden Glauben zugeführt werden.“ (Aus Wikipedia. Im Gegensatz dazu, das was Theoderich d. Gr. einige Jahrzehnte zuvor dazu sagte, dort ebenfalls zitiert.)

Spielarten der (christlichen) Religion, Auswahl
http://de.wikipedia.org/wiki/Deismus
http://de.wikipedia.org/wiki/Theismus
http://de.wikipedia.org/wiki/Trinit%C3%A4t - Trinitätslehre
http://de.wikipedia.org/wiki/Antitrinitarier
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozinianismus
http://de.wikipedia.org/wiki/Chiliasmus
http://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust-Theologie
https://de.wikipedia.org/wiki/Negative_Theologie
Seltsam, nicht eigentlich christlich und (fast) konsequent gegen Sünde: die Mormonen (Zeitungsartikel, Internet)

Anmerkung: Über die Frage, ob das Christentum eine Religion ist oder nicht, gibt es im Internet mehrere Seiten. Die Wikipedia-Seite Religionsloses Christentum befasst sich ausführlich mit dem, was Dietrich Bonhoeffer darüber dachte und schrieb. Seine Aufzeichnungen wurden aus nationalsozialistischem Gefängnis herausgeschmuggelt, wo er, wie ungezählte andere, furchtbar litt und schließlich ermordet wurde. Manches davon wurde aus Sorge vor Verfolgungen weiterer Regimegegner vernichtet oder ging unbeabsichtigt verloren. – Einen langen, gelehrten Vortrag zum Thema Glaube, Religion hielt Joseph Cardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Er wird hier wiedergegeben.

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Einen Überblick über die häufigsten Weltreligionen bietet diese Ausstellung der Stiftung Weltethos, wie sie zur Zeit (2019) unter anderem im Kloster Jerichow/Sachsen-Anhalt zu sehen ist.
Im Beiheft zur Ausstellung, am Klostereingang für 3 Euro erhältlich, steht über das Christentum:
Dieses "ist benannt nach Jesus Christus, einem jüdischen Wanderprediger, der im frühen 1. Jhdt. in Palestina lebte. Während seines kurzen öffentlichen Wirkens - vielleicht nur wenige Monate, höchstens dre Jahre - verkündete Jesus das kommende Gottesreich mit seinen Verheißungen und Maßstäben. Er sammelte eine Jüngerschar um sich, geriet in Konflikt mit dem religiös-politischen Establishment und wurde mit etwa 30 Jahren durch Kreuzigung hingerichtet. Christen glaubten und glauben, dass Gott ihn von den Toten zum ewigen Leben erweckt und zum Christus ('Gesalbten Gottes') erhöht hat."
Diese Darstellung ist unvollständig und ungenau. Es fehlt, dass Jesus von Christen in aller Welt als Sohn Gottes verehrt wird, und die Reihenfolge Auferstehung - Gesalbter Gottes ist falsch. Das Motiv für seinen freiwillig hingenommenen Kreuzigungstod, welches zum Kern christlicher Lehre gehört, wird nicht erwähnt.
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Über die Gottesvorstellung der Sikh-Religion liest man in dem Beiheft:
"Es gibt nur einen Gott - Gott erschuf das Universum, dessen Existenz abhängig von Gottes Willen bleibt. - Gott ist ewig. - Gott ist von nichts und niemandem abhängig. - Gott hat weder Form noch Geschlecht. - Gott ist unveränderlich. - Gott nimmt keine menschliche Gestalt an. - Gottes Wesen ist die Wahrheit. - Gott ist ohne Hass und Furcht."
Dies weicht in wesentlichen Punkten vom jüdisch-christlichen Glauben ab, in denen Gott männlich ist, mit manchem verglichen wird (Löwe, Adler, Fels, Burg, ...) und dem bestimmte menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden.
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Und der Dalai Lama sagte/schrieb: "Jede Religion wirkt auf ihre Weise dem Leiden entgegen und hilft beim Aufbau der Zivilsation." (Aus einem Abreiß-Tageskalender mit Weisheiten und Sinnsprüchen des D. L. für das Jahr 2021, www.suedwest-verlag.de)

Ergänzung
Das, was ich oben über die griechischen Götter schrieb, ist oberflächlich und überheblich. Um das nachträglich abzumildern, gehe ich hier speziell auf Pallas Athene ein, die Stadtgöttin Athens. Nach dem damaligen Glauben entsprang sie dem Kopf des "Göttervaters" Zeus und war die Göttin der Weisheit, der Künste und Wissenschaften, aber auch des Kampfes und seiner Strategie gegen die mehrfach angreifenden Perser. Von den Einwohnern Athens wurde sie geliebt, auch weil sie ihnen, der Sage nach, den Olivenbaum schenkte. Ausführlich gewürdigt wird Athene unter anderem in dem Buch Logicomix von A. Doxiadis und C. H. Papadimitriou, Süddeutsche Zeitung Bibliothek, ISBN: 978-3-86497-004-7. Es stellt auf ungewöhnliche, im wahrsten Sinne anschauliche Weise die Entwicklung der Mathematik und Logik von der Antike bis ins zwanzigste Jahrhundert dar und nimmt auch Bezug auf die Orestie des Dichters Aischylos (525 bis 456 v. Chr.). Interessant ist noch, wie Athene zu ihrem Vornamen Pallas kam; aber das ist eine andere Geschichte ...

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