Hatte Jesus Geschwister?

Die Christenheit ist glaubensmäßig gespalten, hauptsächlich in Katholiken, Orthodoxe und Protestanten. Letztere zerfallen für sich in zahlreiche Untergruppen, aber auch bei den Katholiken gab und gibt es Abspaltungen, um nur dies noch zu erwähnen.

Sie alle eint der Glaube an Gott, Jesus Christus und den Heiligen Geist. Im Glaubensbekenntnis, das mit gewissen, nicht gravierenden Abweichungen die drei großen Konfessionen verbindet, wird, wenn auch nur kurz, Jesu Mutter, die Jungfrau Maria, genannt. Der Grad ihrer Verehrung ist in ihnen unterschiedlich, am geringsten bei den Protestanten, was ich bedauerlich finde; ich bin einer von ihnen.

Besonders zur Weihnachtszeit kann man in Predigten die Worte hören: "... Und sie gebar ihren ersten Sohn ..." (Luk.2,7), was bei manchen zu der Frage führt, ob Jesus Marias einziges Kind war oder ihm weitere folgten.

Die Bibel gibt darauf nur indirekt Auskunft. Zwar ist an verschiedenen Stellen von Jesu Brüdern die Rede, z. B. hier: Matth.13,55; doch wird von Theologen und Bibelübersetzern darauf hingewiesen, daß das Wort "Brüder" zur damaligen Zeit auch in allgemeinerem Sinne gebraucht wurde, nicht nur für Kinder derselben Familie oder eines gemeinsamen Elternteils. Möglich sei auch, so wird gesagt, daß es sich bei Jesu "Brüdern" um seine Cousins handelte. Im übrigen reden sich bis heute Christen gerne mit "Brüder und Schwestern" an, so daß auch uns der umfassendere Sprachgebrauch nicht fremd ist.

Über die genannte Bibelstelle bei Lukas schrieb der heilige Hieronymus (*342, †419 oder 420) nicht ohne Scharfsinn:

"... «Erstgeborener» nämlich nennt man nicht den, auf den andere folgen, sondern vor dem keiner [geboren] ist. Andernfalls [...] hätte man den Priestern die Erstgeburt solange nicht opfern dürfen, bis andere folgen [...]."
(Zitiert in "Die Goldene Kette", Catena Aurea)

Daß Maria auch nach Jesu Geburt jungfräulich weiterlebte, ist verbindliche Lehrmeinung der Katholischen Kirche, vgl. ihren Katechismus, Absätze Nr. 499-501. Diese Ansicht ist nicht biblisch fundiert und stammt erst aus dem 6. Jahrhundert (Konzil von Konstantinopel, 553), also lange nach Marias Tod und dem ihrer Zeitzeugen.

Die Vorstellung, daß sich Maria in der genannten Weise verhielt, wird hier so motiviert, rein menschlich, untheologisch:

"Maria bleibt zeitlebens jungfräulich. Das bedeutet: Gott hört nie auf, ihre 'große Liebe' zu sein. Sie ist immer ganz offen für Gott."

Bei den Protestanten spielt die Frage, ob Jesus Geschwister hatte, keine Rolle; auch machen sie keine weiteren Aussagen über Maria als diejenigen, die man im Neuen Testament findet.

Insgesamt enthält dieser Teil der Heiligen Schrift nur wenig über die Mutter unseres Heilands, viel weniger, als es dem hohen Ansehen, das sie bei gläubigen Katholiken genießt, entspricht. Ein Grund dafür mag der sein, daß es in der Antike unüblich war, Frauen besonders herauszustellen, wenn es sich nicht um die Gattinnen von Kaisern oder anderen berühmten Männern handelte, sondern um einfache, scheinbar unbedeutende, die, wie Maria, zu den Ärmeren gehörten. Vielleicht um dem Mangel an Erwähnung in der Bibel entgegenzuwirken, beschlossen Jahrhunderte später führende Geistliche, die "Muttergottes" mit zusätzlichen, sie erhöhenden Attributen auszustatten. Dies geschieht bis heute auch äußerlich in Bildnissen von ihr durch schöne Kleider, Schmuck, einen Strahlenkranz oder eine Krone wie zum Beispiel hier:



(Ronda/Spanien)


Wenn sie nicht zu engstirnig sind, können auch Nichtkatholiken andachtsvoll davor verharren.

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Nachtrag

Die wohl bekannteste Bibelstelle, in der direkt auf die fragliche Besonderheit Jesu als Sohn Gottes eingegangen wird, steht im Johannes-Evangelium, Kap. 3, Vers 16. Während in der Übersetzung nach Luther von 1984 noch zu lesen ist:
Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

und in der Revidierten Elberfelder Bibel der Begriff "Eingeborener Sohn" durch eine Fußnote erläutert wird,
Denn so1 hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen2 Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.
1 o. so sehr  2 griech. monogenes; d. h. einzig in seiner Art; o. einzig geboren; o. einzig.

haben sich andere, weit verbreitete Bibelübersetzungen auf "einzig" geeinigt:

Hoffnung für Alle
Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht verlorengehen, sondern das ewige Leben haben.

Gute Nachricht Bibel
Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hergab. Nun werden alle, die sich auf den Sohn Gottes verlassen, nicht zugrunde gehen, sondern ewig leben.

Einheitsübersetzung
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.

Neues Leben
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.


(Quelle dieser Übersicht: Neuapostolische Kirche in Mitteldeutschland, Gemeinde Pößneck
http://www.junge-christen.info/Flyer/25.02.2007.pdf, 2. Seite)

Sehr ausführlich, eine katholische Quelle:
Dr. Ludwig Neidhart3: Die "Brüder Jesu" - Hatte Maria mehrere Kinder oder lebte sie stets jungfräulich?

3Außer Persönlichem über den Autor enthält die Seite eine Fülle online lesbarer PDF-Dateien, die ich größtenteils ebenfalls sehr interessant finde.

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