"Ich bin das Licht der Welt, ..." 1


Der Sinn dieses Jesus-Wortes ist im Deutschen nicht ganz eindeutig, denn wir deklinieren ja: "die Welt, der Welt, der Welt, die Welt", so dass für das Wörtchen "der" sowohl der Genitiv wie der Dativ in Frage kommt.

Meist wird es wohl so sein, dass man den Genitiv versteht wie bei "die Hitze des Tages", "die Stille der Nacht" und Ähnlichem: "Licht der Welt" als eine Eigenschaft von ihr. Sie hat helle und dunkle Seiten. Jesus repräsentiert die hellen.

Es ist aber auch möglich, "der" als Dativ aufzufassen. Dies erkennt man besser, wenn Jesu Ausspruch ein wenig umgestellt wird: "Der Welt bin ich das Licht." Jesus bringt es ihr, und er ist es selbst. Gemeint ist mit "Licht" das geistige; das physische wurde von Gott geschaffen. 2

Auf die beiden etwas unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten im Deutschen kam ich durch einen christlichen Kalender für das Jahr 2009 in russischer Sprache, den mir jemand schenkte. In ihm steht von vornherein der Dativ:
"Я свет миру" (Ja swet miru) und nicht "Я свет мира" (Ja swet mira), was der Genitiv wäre. Im Russischen ist somit klar, was mit Jesu Ausspruch gemeint ist. Dafür gibt es dort etwas anderes, das für Verwirrung sorgen kann: Das Wort мир (mir) bedeutet sowohl "Welt" wie auch "Frieden".1)

Nur noch eine Anmerkung zum Lateinischen, das wegen seiner logischen Klarheit oft gerühmt wird und als Kirchensprache bis heute dient. Beim Genitiv hat es in meinen Augen eine Schwäche: "timor leonis" zum Beispiel bedeutet entweder "die Furcht des Löwen" oder "die Furcht vor dem Löwen", ebenso "amor matris" "die Liebe der Mutter" oder "die Liebe zur Mutter", also jedesmal etwas ganz Verschiedenes. Entsprechend gegensätzlich kann man "amor Dei" mit "Liebe Gottes" (zu den Menschen) oder mit "Liebe" (der Menschen) "zu Gott" übersetzen. Keine Unsicherheit herrscht dagegen, wenn an mehreren Stellen der Bibel, so z. B. in Röm 3,22 und Gal 2,16, von der "fides Iesu Christi" die Rede ist. Hier wäre es unsinnig, "der Glaube Jesu Christi" zu übersetzen, denn es soll ja nicht zum Ausdruck gebracht werden, was Er glaubte; vielmehr muß es "der Glaube an Jesus Christus" heißen, und so steht es auch in den deutschsprachigen Bibelausgaben.

Ergänzung: Ende November 2013 gab Papst Franziskus ein Apostolisches Schreiben mit dem Titel "Evangelii Gaudium" heraus, der in deutschsprachigen Nachrichten und Kommentaren mit "Freude des Evangeliums" übersetzt wurde. Das ist grammatisch korrekt; doch ist eigentlich die Freude am Evangelium gemeint.

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Im christlichen Jahrbuch "Anno 2009" des Rauhen Hauses Hamburg, das ich zu Weihnachten geschenkt bekam, steht ein Artikel über das japanische Haiku, eine Gedichtsform mit drei Zeilen und genau siebzehn Silben (5 - 7 - 5), das strengen Regeln folgt. Es soll, wie es dort heißt, ein Naturereignis beschreiben und dadurch beim Leser einen "inneren Nachhall" bewirken. Hier ein eigener Versuch, ohne den zusätzlich geforderten Bezug auf eine konkrete Jahreszeit:

Mond eilt durch Wolken,
glanzvoll erst, dann dicht verhüllt –
und neu zu sehen.

Gedanklich stellen die Verse eine Parallele zum Licht dar, das Jesus der Welt brachte. Es ist hell, aber milder als das grelle der in der Bibel oft genannten Sonne. Nicht selten wurde es den Menschen falsch vermittelt: gewaltsam, entstellt, und dadurch über einen langen Zeitraum verdunkelt. In Jesu Namen gab es Verfolgung, Unterdrückung und vielfachen, grausamen Mord, wurden Kriege geführt, nicht nur mit Andersgläubigen, sondern auch innerhalb der Christenheit. Erst nach und nach kam Sein Licht wieder deutlicher zum Vorschein. Heute wird es in manchen Ländern, so auch in unserem, vor allem durch Unwissenheit und Gleichgültigkeit getrübt, von Wolken ähnlich denen, die den Mond verdecken. Dass sie vorüberziehen und sich auflösen, hoffe ich.

Der oben erwähnte Kalender stammt von der Mission für Süd-Ost_Europa e. V.

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1) Mир in der Bedeutung "Welt": u. a. im Konzept Russki_Mir.
Mир für "Frieden" war unter der Sowjetherrschaft ein viel verwendetes Propagandaschlagwort (Bilder).
Und hier neu: Friede der Ukraine!

Claudia Sperlich: Notlicht

Eine sprachliche Besonderheit

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