Auf die Frage, in wie weit die Bibel Gottes Wort ist, kam ich durch das Beiheft einer christlichen Gruppe, an deren Veranstaltungen zum Studium der Bibel ich seit einiger Zeit regelmäßig teilnehme. Darin ist unter anderem zu lesen: "Gott hat sich den Menschen durch sein Wort – die Bibel – mitgeteilt. Die Bibel ist die letztgültige Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung."

Ich meine, daß es so einfach nicht ist. Es gibt im Alten Testament eine Reihe von Bestimmungen, die für Juden bindend waren und, streng genommen, auch heute noch gelten, jedoch für die Lebensführung von Christen bedeutungslos sind. Hierzu gehören das Beschneidungsgebot (1.Mose 17,10-14), das Gebot, Ehebruch mit Steinigung zu bestrafen (3.Mose 23,10), das Verbot von Ehen mit ausländischen Frauen (Esra10, Nehemia13)1 und zahlreiche Opfervorschriften.

Die Bibel preist die gewaltsame Inbesitznahme fremden Landes und die Vernichtung der darin wohnenden Völker durch die Israeliten. Derartiges ist heutztage international unter Strafandrohung verboten. Auch werden in der Bibel die Tötung Einzelner aus religiösen Motiven und Kollektivstrafen praktiziert, die wir ablehnen.2

Um auf die einleitend genannte Frage zurückzukommen: die Bibel ist nach meiner Ansicht nicht Gottes Wort, aber sie enthält es. Seltsam ist dabei, dass es in ihr ein ganzes "Buch" gibt (nämlich das Buch Esther), in dem Gott nicht ein einziges Mal genannt wird. - Gott werden an verschiedenen Stellen der Bibel menschliche Regungen wie Rach- und Eifersucht zugeschrieben, die Er, der unendlich weit über uns steht, sicherlich nicht hat. Deshalb glaube ich nicht, daß diese Kennzeichnung von Ihm stammt. - In anderen Teilen der Heiligen Schrift wird Er gelobt. Sie können ebenfalls nicht Sein Wort sein, denn Gott wird sich nicht selbst loben.

Dagegen gehören zu Gottes Worten die Zehn Gebote, Seine Weisungen und Ankündigungen, ebenso Seine Gleichnisse, Warnungen und Drohungen.3

Auf Gottes Wort basiert die gesamte Schöpfung. Jesus Christus lebte und wirkte im Vertrauen auf Gottes Wort; Seine Leiden, Sein Tod und Seine Auferstehung waren die Folge davon. Wir selber, als Christen, glauben den Verheißungen unseres Heilands, der mit Gott und dem Heiligen Geist eins ist. Gottes Wort spiegelt sich in biblischen Spruch- und Lebensweisheiten wider. Die Evangelien sowie Briefe an die ersten christlichen Gemeinden verkünden und erklären es.

*

In der Heiligen Schrift vorkommende Irrtümer, Verwechslungen, Widersprüche und Übertreibungen sind auf menschliche Schwächen zurückzuführen: falsches Erinnern, die Verwendung unsicherer Quellen, wenn keine besseren zur Hand waren, zeit- und kulturbedingte Wissenslücken, großzügiges Hochrechnen von Heeresstärken4, Prahlerei bei der Anzahl getöteter Feinde.5

Fehler und Ungenauigkeiten berühren jedoch nicht den Kern, das Wesen der über tausend Seiten umfassenden Bibel und in ihr Gottes Wort. Deshalb befinden sich atheistisch-agnostische Bibelkritiker ihrerseits im Irrtum, wenn sie sie insgesamt als Märchenbuch, Lügengebäude und Schlimmeres herabzuwürdigen suchen, wobei einige so weit gehen zu fordern, daß sie abgeschafft wird. (Manche dieser Kritiker argumentieren absurd und machen sich dadurch geradezu lächerlich. So las ich auf einer Internetseite die Behauptung, Gott könne "nicht zählen".)

Das Wort Gottes, recht verstanden und aufgefaßt, bereichert das Leben. Es verleiht sittlich-moralisch-ethische Orientierung, gibt der Seele inneren Frieden, Befreiung und Zuversicht, auch und besonders in schwierigen Situationen.

Wer dies bestreitet oder gering schätzt, schadet sich in meinen Augen im Grunde nur selbst.

Ich jedenfalls bin dankbar dafür, beim Lesen in der Bibel, allein oder gemeinsam mit anderen Christen, und in Predigten immer wieder Gottes wertvollem Wort zu begegnen und freue mich darüber.
Ergänzung

------------------------------
1 Esra hielt sich an Bestimmungen wie in 2.Mose34,16 und 5.Mose7,1-4; dabei hatte Mose selbst eine Ausländerin (Kuschiterin) zur Frau. Esras radikales Vorgehen fand einen späten Nachfolger in den "Rasse"gesetzen der nationalsozialistischen Machthaber.
2 die Sintflut, Sodom und Gomorrha, aber auch bei einer einzelnen Familie, deren Vater Achan sündigte. (Josua7,24f) - In 5.Mose24,16 liest man es anders: "Die Kinder sollen nicht um der Väter willen sterben, sondern ein jeder soll für seine Sünde sterben."
3 An vielen Stellen der Bibel warnt Gott die Israeliten durch die Propheten vor Diebstahl, Unterdrückung der Armen, vor Raub und Mord, vor Trunkenheit, Ehebruch und sexuellen Verfehlungen und droht ihnen schwere Strafen an, die sich in der Folge auch verwirklichten, darunter die Zerstörung des Tempels und der Hauptstadt Jerusalem, Versklavung und Deportation durch fremde Völker.
4 evtl. in 2.Chronik14,8: "eine Million Krieger" (Einheitsübersetzung)
5 Richter15,16: Simson erschlägt mit einem Esels-Kinnbacken, "vom Geist des Herrn ergriffen", tausend Philister.

Zurück zur Vorseite