Hi,
ein kleines Mädchen (6. Klasse) zeigte sich
vor Jahren skeptisch gegenüber einer Behauptung
ihrer Mathelehrerin und wandte sich, was mutig
und ungewöhnlich war, an einen Professor.
Der schrieb an Fachkollegen und bat sie um
ihre Meinung, wie man dem Kind die Sache
möglichst gut erklären könne. Es handelte sich
also in erster Linie nicht um eine mathematische
Frage, sondern um ein didaktisches Problem.
Die Angelegenheit geriet jahrelang in Vergessenheit
und wurde erst jetzt wieder aufgegriffen. Die Fragestellerin, inzwischen Abiturientin, erhält einen
Preis für ihre damalige Frage, und darüber
berichtet ein Nachrichtenmagazin in der üblichen,
an ein breites Publikum gerichteten Weise.
Ich kann nicht erkennen, warum der Artikel "unter
aller S. ..." sein soll und halte diese Ausdrucksweise
für das Ansehen des Matheplaneten für wenig geeignet.
Auch die Aufregung darüber, "dass die heutige Gesellschaft
sowas von keine Mathematik mag, ..." (nicht gerade gutes,
verständliches Deutsch), teile ich nicht.
Daß der Professor sich jetzt, nach sechs Jahren,
an die Angelegenheit erinnert, läßt sich vielleicht
damit erklären, daß 2008 zum "Jahr der Mathematik"
ernannt wurde. Da ist es ganz natürlich, wenn jemand
in alten Unterlagen kramt, um etwas Besonderes zu
finden, das damit zusammenhängt und die öffentliche
Aufmerksamkeit für einen Moment auf unser Fach lenkt.
Daß er vielleicht nur "in die Medien" wollte, ist bloße,
herabsetzende Vermutung.
Im übrigen ist die Frage, was 0,Periode9 bedeutet,
keineswegs trivial und leicht zu beantworten.
Sicherlich handelt es sich dabei nicht um eine
"Jahrhundertfrage", aber wenn man zum Beispiel
im Internet danach "googelt", werden erstaunlich
viele Einträge angezeigt, die sich eben damit
beschäftigen.
Die Antwort hat etwas mit dem Grenzwertbegriff
zu tun. Man kann für sie die geometrische Reihe
heranziehen und auf verschiedene weitere Arten
argumentieren, daß 0,Periode9 gleich 1 ist; doch
eignet sich das meiste davon nicht (je nach Schulsystem) für die Grundschule oder die zweite
Gymnasialklasse.
Es dort über die nicht abbrechende Dezimaldarstellung von 1/9, 2/9, 3/9 usw. einzuführen,
mag bequem und einfach sein, kann aber auch zu
Überraschung und Widerspruch führen wie im
vorliegenden Fall.
Denn 0,99999 (und "immer so weiter", nur Neunen)
scheint eben nicht ganz genau gleich 1 zu sein,
sondern "ein ganz klein wenig" darunter zu liegen.
"Mathematischer" klingt es, wenn man sagt, es
unterscheide sich "unendlich" wenig von 1. Hier
kommt das Unendliche mit ins Spiel, das selbst großen
Geistern jahrhundertelang Kopfzerbrechen bereitete.
Der Preis, der jetzt ein gewisses Aufsehen erregt,
ehrt zugleich jene Jungen und Mädchen, die sich,
ohne etwas von ihm zu wissen, bei diesem Thema wie
bei anderen von ihren Lehrern nicht einfach nur etwas sagen lassen und es hinnehmen,
obwohl sie es im Grunde nicht richtig verstehen, und
deshalb nachfragen und "weiterbohren". Ich finde,
diese Haltung kann uns nur recht sein, und der genannte Artikel trägt ein wenig dazu bei.
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