Was summt denn da?
Über die sprachliche Herkunft mathematischer Begriffe

In der Mathematik gibt es viele Wörter zur Bezeichnung von Objekten und Verfahren, die sich nicht selbst erklären und deren Herkunft nicht jedem klar ist.

Wer weiß schon, warum man von Summen, Produkten, Potenzen spricht, von rationalen und imaginären Zahlen, von Wurzeln und Logarithmen? Und warum von Vektoren, Funktionen, vom Ableiten und neuerdings auch vom Aufleiten? Was bedeutet ursprünglich das Wort Axiom, und überhaupt: woher stammt der Begriff Mathematik?

Damit und mit einigem mehr beschäftige ich mich im folgenden, ohne dabei Vollständigeit anzustreben.

Ich beginne mit den Zahlen. Gut zu verstehen sind die Bezeichnungen "natürliche" und "ganze" Zahlen. Man kann sie addieren (von lat. addere=zusammentun) und subtrahieren (subtrahere=abziehen). Was dabei entsteht, ist ihre Summe von lat. summa, was "das Ganze", "der Inhalt" usw. bedeutet, und ihre Differenz (lat. differentia=Unterschied). Man kann die Zahlen auch multiplizieren (multiplicare=vervielfachen), wobei das Ergebnis ein Produkt ist. (Producere bedeutet "hervorbringen".) Werden mehrere gleiche Zahlen miteinander multipliziert, nennt man das Ergebnis eine Potenz, was von lat. potentia herrührt und "Macht", "Stärke" bedeutet.

Werden die ganzen Zahlen (durcheinander) dividiert (von dividere=teilen), entsteht als Ergebnis ein Quotient. Das lateinische quotiens bedeutet "wie oft?" oder "wie viel mal?".

Nicht immer ist ein Quotient  eine ganze, sondern eine Bruchzahl, und bei diesen spricht man auch von rationalen Zahlen. Warum? Das lateinische Wort "ratio" hat viele Bedeutungen, darunter Rechnung, Berechnung, Verhältnis, aber auch Vernunft. Nun sind die rationalen Zahlen nicht vernünftiger als die ganzen oder natürlichen Zahlen; deshalb scheidet die Herkunft ihres Namens vom Wort "Vernunft" aus. Dagegen paßt "Verhältnis" ganz gut. Vor allem in der Geometrie (griech., ursprünglich Erdvermessung) sagt man oft, daß die Maßzahlen zweier Strecken a und b sich zueinander verhalten wie die Maßzahlen zweier anderer Strecken c und d, und das führt zu Zahlen wie 2:3 oder 2/3, mit dem Bruchstrich geschrieben. (Ich verwende hier und weiter unten aus technischem Grund den veralteten, schrägen anstelle des allgemein üblich gewordenen waagerechten.)

Nun gibt es bekanntlich Zahlen, die sich nicht in der Form a/b darstellen lassen mit a,b als ganzen Zahlen, b ungleich Null. Sie heißen als Gegensatz zu den rationalen Zahlen irrational. (Die Verneinungsvorsilbe "in-", hier mit dem nachfolgenden r zu "ir-" verschmolzen, entspricht unserem deutschen "un".)

Zu den irrationalen Zahlen gehören die Quadratwurzeln von Zahlen, die keine Quadratzahlen sind.

Warum man ausgerechnet von "Wurzeln" spricht, konnte ich nicht herausfinden. Wahrscheinlich wurde dabei an etwas Grundlegendes, Tiefgründiges gedacht, wie oft bei Pflanzen und Bäumen. Das lateinische Wort für Wurzel ist "radix", und von dessen Anfangsbuchstaben rührt das heute noch gebräuchliche Wurzelzeichen her: usprünglich ra und daraus √a. (Nebenbei: die Wurzel einer Zahl wird "gezogen".)

Die rationalen und die irrationalen Zahlen faßt man zu den reellen Zahlen zusammen. Warum das? "Reell" (aus dem Französischen um 1700) bedeutet ja: wirklich oder, anders ausgedrückt: tatsächlich vorhanden. Gibt es denn Zahlen, mit denen sich die Mathematiker beschäftigen, die nicht vorhanden sind, d. h. solche, die gar nicht existieren?

Ob es Zahlen "in Wirklichkeit" oder nur in unserem Bewußtsein gibt - darüber wurde und wird viel nachgedacht und diskutiert; doch soll das nicht mein Thema sein.

Die Bezeichnung "reelle" Zahlen rührt davon her, daß die Mathematiker ab Anfang des 16. Jahrhunderts begannen, von "imaginären" Zahlen zu reden. "Imaginär", von lat. imago=Bild, auch Phantasie- oder Schattenbild, deutet darauf hin, daß den Betreffenden diese neue Art von "Zahlen" anfangs unheimlich waren, ja "geisterhaft" erschienen.1 Unter anderem treten sie bei quadratischen Gleichungen als "Lösungen" auf, die, weil sie keine praktische Bedeutung zu haben schienen, als unbrauchbar verworfen wurden. Die am einfachsten aussehende imaginäre Zahl ist √(-1).  

Obwohl viele Mathematiker es ablehnten, sich weiter mit den "nur eingebildeten" Zahlen zu beschäftigen (weitere Übersetzungsmöglichkeit von "imaginär"), taten es andere, mutigere doch. Dabei wurde für das unhandliche √(-1) abkürzend ein eigener Buchstaben eingeführt: das i, welches auf das Wort "imaginär" hindeutet. (Anmerkung: häufig schreibt man nicht i=√(-1), sondern setzt fest: i2=-1. )

In der Folge faßte man reelle und imaginäre Zahlen zu den sogenannten komplexen Zahlen der Form a+bi zusammen, a,b reell, und erkannte, daß diese, entgegen dem ersten Anschein, von großem praktischen Wert sind, auch außerhalb der Mathematik, zum Beispiel in der Wechselstromlehre. (Lat. complexus bedeutet das Zusammenfügen oder Verbinden von etwas mit anderem zu einer Einheit.)

Es gibt auch hyperkomplexe Zahlen, doch bevor ich weiter unten erklären werde, was das für mathematische Objekte sind, jetzt erst ein paar Sätze zum Begriff "Mathematik".

Er rührt von dem griechischen Wort mathema für Erkenntnis, Wissenschaft, aber auch Kunst(!) her. In der römischen Spätantike wurden als "mathematici" Astrologen, Sterndeuter, die angeblich die Zukunft voraussagen konnten, und "Magier" bezeichnet, und der Satz: "Ars mathematica damnabilis et interdicta est" (Die mathematische Kunst ist verdammungswürdig und verboten) gehörte zum Römischen Recht. Heutzutage sind nicht wenig "Gebildete" offenbar stolz darauf, daß sie "nichts von Mathematik verstehen", während bei vielen Besuchern des MP die Mathematik zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählt. Die Themen, denen sich "unsere" Wissenschaft widmet, veränderten sich im Laufe der Zeit, und zwar besonders stark im vergangenen 20. Jahrhundert.

Kennzeichnend für die zeitgenössische Mathematik sind unter anderm die Begriffe "Menge" und "Raum". Einige mathematische Räume wurden, um die betreffenden Forscher zu ehren, mit Personennamen verbunden; es gibt aber auch den viel benutzten Begriff "Vektorraum".

Und was ist ein Vektor?

Dieses Wort trat anfangs nicht für sich allein auf, sondern zusammen mit einem weiteren, ebenfalls lateinischen, schon vor einigen Jahrhunderten bei der mathematisch-theoretischen Behandlung der Planetenbewegung. Die von der Sonne zu einem auf seiner Bahn umlaufenden Planeten gerichtete Strecke wurde als radius vector bezeichnet, zu deutsch "Fahrstrahl", ein Ausdruck, der nur noch selten verwendet wird. In neuerer Zeit entfiel das Wort radius; übrig blieb Vektor. In der Schule wird (von Ausnahmen abgesehen) nur die Lehre von Vektoren der Ebene und des (dreidimensionalen) Raumes vermittelt. Auf der Uni betrachtet man auch höherdimensionale Vektoren und von ihnen erzeugte Räume und löst sich von der ursprünglichen geometischen Bedeutung des Vektors als gerichtete Größe. So können auch Funktionen Vektorräume bilden.

Zu den oben erwähnten hyperkomplexen Zahlen gehören die Quaternionen, von lat. quattuor=vier: a0+a1i+a2j+a3k. a0 bis a3 sind reelle Zahlen, während i,j,k an imaginäre Zahlen erinnern, denn für sie gilt i2= j2= k2=-1. Diese Ähnlichkeit von i,j,k mit dem imaginären i bei den komplexen Zahlen wird dadurch gestört, daß für i,j,k bei den Quaternionen zusätzlich gilt: ijk=-1. Wegen der formalen Ähnlichkeit mit einem Vektor a=a1i+a2j+a3j, wobei i,j,k dessen Basis-Einheitsvektoren in einem rechtwinkligen kartesischen Koordinatensystem bedeuten, werden die Quaternionen manchmal auch als Kombination einer reellen Zahl mit einem Vektor bezeichnet. Angewendet werden sie unter anderem in der theoretischen Mechanik zur mathematischen Beschreibung der Drehung von Körpern. (Das Wort kartesisch beruht auf dem latinisierten Namen von René Descartes, der sich auch Cartesius nannte.) Für die Quaternionen gilt eine besondere, vierdimensionale Algebra. Dieses Wort, ursprünglich im Zusammenhang mit dem Lösen von Gleichungen gebraucht, entstammt dem Titel eines mittelalterlichen arabischen Mathematikbuches und hat in der Neuzeit eine starke begrifflich-thematische Erweiterung erfahren. (Über die Quaternionen selbst, ihre frühere und heutige Bedeutung gibt es hier [1] einen, wie ich finde, ganz interessanten Artikel.)

Im vorletzten Absatz taucht das Stichwort "Funktion" auf. Das lateinische functio bedeutet, noch nicht sehr spezifisch, "Verrichtung" und das entsprechende Verb "verrichten, mit etwas fertig werden", vielleicht auch "bewirken". Der mathematische Funktionsbegriff ist ein Kind des 17. Jahrhunderts. Sein ursprünglicher Sinn bestand darin, daß die Veränderung einer "unabhängigen", oft mit x bezeichneten Variablen eine Veränderung der "abhängigen" Variablen y bewirkt, wobei die beiden häufig durch eine Rechenvorschrift miteinander verbunden sind. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff der Funktion präzisiert und erweitert und wird häufig synonym (gr. sinngleich) mit dem Begriff der Abbildung verwendet.

Funktionen und ihre Eigenschaften wurden jahrhundertelang und werden bis heute intensiv untersucht, vielfach auch in der Schule. Oft lassen sie sich auch graphisch durch Kurven darstellen.

Bei diesen interessiert neben anderem, wie stark sie an bestimmten Stellen ansteigen oder abfallen.

Die Steigung einer Kurve in einem ihrer Punkte wird als Grenzwert der Steigung einer Sekante in diesem Punkt definiert, wenn sich diese "unendlich stark" der Tangente an demselben annähert. Hierbei spielt der Begriff Differenzenquotient eine gewichtige Rolle, oftmals mit Δy/Δx abgekürzt, der bei dem besagten Grenzprozeß in den Differentialquotienten dy/dx übergeht. (Lat. Sekante bedeutet eine die Kurve schneidende, Tangente eine sie berührende Gerade.)

Oft wird darauf hingewiesen, daß dy/dx kein "richtiger Bruch", sondern nur ein Symbol ist (wobei man sich fragen kann, was die sonst in der Mathematik verwendeten Zeichen anderes sind). Dennoch wird mit seinem "Zähler" dx und seinem "Nenner" dy vielfach gerechnet wie bei den Brüchen. Deshalb bekam dieses bedeutende Teilgebiet der Mathematik den Namen Differentialrechnung, d. h. Rechnung mit Differentialen.

Ein Beispiel dafür, wie mit Differentialen "erweitert" wird, bildet die Kettenregel der Differentialrechnung. Von manchen wird sie als reine Merkregel angesehen, die keine ausreichende theoretische Begründung besitzt. Dabei wird abwertend das Wort "Mnemotechnik" ins Spiel gebracht und ein Gegensatz zwischen Mathematikern einerseits und Physikern und Ingenieuren andererseits konstruiert. Selber bin ich der Ansicht, daß die von diesen beim Umgang mit Differentialen erhaltenen Ergebnisse keineswegs nur "zufällig" richtig sind, wie es ebenfalls bisweilen behauptet wird.2

Der Differentialquotient (an einer bestimmten Stelle der Kurve) bekam im Laufe der Zeit einen sehr farblosen, nichtssagenden zweiten Namen: Ableitung. Was da "abgeleitet" wird und wohin, bleibt offen.
 
Nun gibt es, wie oben bereits erwähnt, auch noch den Begriff "aufleiten", offenbar im Gegensatz zu "ableiten". Dahinter verbirgt sich die Tatsache, daß das zweite große Teilgebiet der Mathematik, welches man früher Infinitesimalrechnung nannte (von lat. infinit=unbegrenzt), die Integralrechnung, die Umkehrung der Differentialrechnung ist. Aufgabe der Integralrechnung war ursprünglich, bevor sie, wie vieles in der Mathematik, erweitert und verallgemeinert wurde, die Berechnung von Flächen- und Rauminhalten. Das lateinische Wort integer bedeutet soviel wie vollständig, ganz, in vollem Umfang. Damit wird angedeutet, daß das Flächenstück, dessen Inhalt berechnet werden soll, gedanklich zunächst in "unendlich viele" "unendlich dünne" Streifen zerlegt wird, deren Gesamt-Flächensumme man anschließend durch Summation und Grenzwertbildung erhält. Das bekannte Integralzeichen ist ein langgezogenes S, wie es oft in barocken Texten vorkommt, und steht für "Summe". Wegen der Grenzwertbildung beim Integrieren bedeutet es nicht dasselbe wie das in anderem Zusammenhang verwendete, griechische Summenzeichen Σ.)

Als letzte der in der Einleitung erwähnten, nicht selbsterklärenden Begriffe bleiben noch übrig: Logarithmen und Axiome.
 
Logarithmus ist aus den beiden griechischen Wörtern logos und arithmos zusammengesetztes Kunstwort. Logos hat eine sehr breite Bedeutungsskala, die bis ins Philosophische und Religiöse hineinreicht, und steht dort unter anderem für "Vernunft". Dagegen heißt arithmos einfach nur "Zahl", ebenso das lateinische Wort numerus, das bei den Logarithmen verwendet wird. (So war die bis vor kurzem üblich gewesene Schreibweise "numerieren" mit einem m durchaus richtig.)  Ihrem Wesen nach sind Logarithmen Hochzahlen bei der Potenzrechnung, Näheres siehe z. B. hier [2].

Das Wort Axiom kommt zwar aus dem Griechischen, scheint aber in dieser Form nicht sehr gebräuchlich gewesen zu sein. In meinem dicken Wörterbuch [3] soll man statt bei axioma bei axiosis nachsehen, und dort steht neben vielem anderen als deutsche Bedeutung: "Meinung", "Ansicht". (Alles andere wie Würde, Ehre, Achtung usw. paßt nicht in unseren Zusammenhang.) Das ist noch nicht viel und entspricht nicht dem heutigen Sinn von Axiom als unbewiesenem und unbeweisbarem Grundsatz. Diesen gewann es erst im 17. Jahrhundert. Besonderes Interesse erweckte der Begriff ab den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch die Untersuchungen Kurt Gödels. Er bewies, kurz gesagt, mit mathematischer Strenge, daß es in der Mathematik Aussagen gibt, deren Richtigkeit weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Sie heißen "unentscheidbar". (Darüber wurde z. B. hier [4] auf dem Matheplaneten eifrig diskutiert.)

Nicht nur die längst zum mathematischen Vokabular gehörigen Objekte Vektor und Quaternionen entstammen der Physik, sondern auch Begriffe wie "Entropie"3 und "ergodisch"4, die beide mehrfach auf dem MP thematisiert werden. Sie gehören ursprünglich zur (statistischen) Thermodynamik, und besonders der erste wirkt bis in die Informatik hinein. Aus der Kinematik (von gr. kinesis=Bewegung) ergaben sich die Rollkurven (gr. Zykloiden) mit dem Spezialfall der Herzkurve (Kardioide, lat.), während die ihr ähnliche Nierenkurve (Nephroide, gr.) aus dem Bereich der Optik stammt und als Brennlinie (Katakaustik, gr.) z. B. an einer Kaffeetasse beobachtet werden kann.

Anscheinend rein mathematischer Herkunft sind die Hüllkurven (Enveloppen, frz.) sowie Evoluten und Evolventen ( lat.); die letzten beiden lassen sich nicht durch ein einzelnes deutsches Wort wiedergeben.
 
Vom Ursprung her mathematisch ist auch das Lehrgebäude der Topologie; topos, gr., bedeutet Ort, Platz.  Dieses Teilgebiet entstand hauptsächlich im 20. Jahrhundert, hatte aber seine Anfänge schon im achtzehnten (Euler, Königsberger Problem; ältere Bezeichnung, gr./lat.: Analysis sitūs mit ähnlicher deutscher Bedeutung) und kommt häufig in Beiträgen auf dem Matheplaneten vor. (Das gr. Wort análysis, frz. analyse, bedeutet Auflösung, Untersuchung, situs,lat., Lage, Stellung.)

Relativ neu ist auch die Kategorientheorie, von gr. kategoría=Eigenschaft (neben anderen, weiter ab liegenden Bedeutungen) und, seit dem 18. Jahrhundert, für allg. Grundbegriff, Begriffsklasse, Einteilungsmerkmal. Nach privater Mitteilung eines MP-Experten auf diesem Gebiet stößt sie vor allem bei jüngeren Mathematikern auf viel Interesse.

Ab dem 20. Jahrhundert ließen die Kenntnisse des Griechischen und, in geringerem Maße, des Lateinischen unter Mathematikern und Physikern langsam nach. Neue Begriffe wurden durch Veränderung ihrer ursprünglichen, etwa geometrischen Bedeutung in den jeweiligen Landessprachen geprägt. Beispiele sind Körper (engl. field) und Ring (engl. ebenso). Es gibt Schiefkörper, zu denen die oben erwähnten Quaternionen gehören, und Halbringe (graphische Übersicht mit Beispielen z. B. in [5]).

Letztere sind ebenfalls von großer, weiterführender Bedeutung, unter anderem in der Kryptologie von gr. kryptos=versteckt,geheim. Eine bestimmte Halbringart wird als "tropisch" bezeichnet. Das hat nichts mit "heiß" zu tun, sondern hängt mit gr. trópos zusammen, was unter anderm Wendung, Richtung, Art und Weise, Beschaffenheit bedeutet.

Man könnte noch vielen mathematischen Fachbegriffen sprachlich auf den Grund gehen, von Abszisse über Dimension, Intervall, Residuum und Symmetrie bis Zissoide, um nur einige zu nennen, doch möchte ich es hier bei den bereits aufgeführten Beispielen belassen.

Anmerkungen:
1 Ähnliches wiederholte sich Jahrhunderte später bei den Fraktalen (von lat. frangere=brechen; bezieht sich auf deren Dimension, die nicht mehr ganzzahlig ist). Weil sie sich grundlegend von bis dahin bekannten geometrischen Objekten unterscheiden, wurden sie anfangs als mathematische "Monster", d. h. Ungeheuer, bezeichnet.
2 Mnemotechnik: Kunstwort aus dem Griechischen für u. a. Gedächtnistraining unter Verwendung von "Eselsbrücken". - In einem anderen Forum las ich: "Physiker dürfen übrigens auch Differentiale gegeneinander kürzen: dx/dx=1. Generell dürfen Physiker die Mathematik solange missbrauchen und verhunzen, wie es funktioniert." Das ist nicht nur unverschämt, sondern auch nicht sachgerecht, denn natürlich rechnen auch Mathematiker, wenn y=f(x)=x, x∈ℝ gilt, dy/dx=dx/dx=1.
3 Entropie, ein seiner Bedeutung nach nicht leicht zu erklärendes (und von manchen unverstandenes, mißbrauchtes) Kunstwort aus gr. en=in und tropē=Veränderung
4 1 Mol eines einatomigen idealen Gases wird gedanklich in einem rund 1023-dimensionalen Raum (nach der Avogadro-Zahl) betrachtet, der von den Orts- und Impulskoordinaten gebildet wird (Phasenraum). Der momentane  Zustand des Gases wird durch einen Punkt in diesem Raum beschrieben, und wenn es gegenüber der Umwelt energetisch abgeschlossen ist, wird dadurch eine Hyperebene dieses Raumes ausgesondert, in der sich der Zustandspunkt bewegt. Von seiner Bahnkurve wird angenommen, daß sie nach unendlich langer Zeit alle Punkte der Hyperebene durchläuft. Das ist der Inhalt der Ergodenhypothese (s. [6], 2. Absatz mit Hinweis auf Boltzmann), von gr. érgon=Werk, Arbeit und hodós = Weg.

Hans-Jürgen

[1] http://www.spektrumdirekt.de/artikel/1116948
[2] Über Logarithmen
[3] Langenscheidts Taschenwörterbuch Altgriechisch
[4] Der nicht beweisbare Satz ...
[5] http://cosec.bit.uni-bonn.de/~teaching/07ws/kryptotag/zumbraegel.pdf
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Ergodenhypothese


Kommentare (Auswahl):

Re: Was summt denn da?
von
Sp-120b am Fr. 28. Oktober 2011 00:50:40


Klasse!!
Vielen Dank!!

Gruß,
Sp


Re: Was summt denn da?
von
Martin_Infinite am Fr. 28. Oktober 2011 06:48:12


Sehr interessanter Artikel.

Hier kann man nachlesen, welcher mathematischer Begriff wann, von wem und in welchem Kontext zuerst gebraucht wurde:


jeff560.tripod.com/mathword.html

Eine wahre Schatzgrube. Zur Herkunft der Begriffe "Wurzel" und "Ableitung", die im Artikel etwas offen geblieben sind, siehe "Radix" und "Differential Calculus, Derivative". Die Seite bespricht aber auch kompliziertere Begriffe (Garben, Topologie, Homologie, Mannigfaltigkeit, Kategorientheorie, Varietät, u.v.m.).


Re: Was summt denn da?
von Anonymous am Fr. 28. Oktober 2011 13:22:30


Schöner Artikel! Danke auch für den Link, Martin. Eine winzige Anmerkung: Produkt ist nicht vom Infinitiv producere abgeleitet, sondern vom PPP productus "hervorgebracht, das Hervorgebrachte"

Jonathan


Re: Was summt denn da?
von
PhysikRabe am Fr. 28. Oktober 2011 15:36:53


Schöner Artikel! Und es wurden auch alle griechischen Begriffe richtig hergeleitet ;)
Danke, Hans-Jürgen!


Re: Was summt denn da?
von
GrandPa am Fr. 28. Oktober 2011 15:42:58


Super, vielen Dank!

L.G. GrandPa


Re: Was summt denn da?
von
huepfer am Fr. 28. Oktober 2011 21:13:21 http://jumping-bagpipe.livejournal.com/


Hallo Hans-Jürgen,

mir gefällt der Artikel sehr gut. Ich habe auch noch eine Anmerkung zum Thema "rationale" Zahlen. Du weist die Wortbedeutung "Vernunft"als unpassend zurück. Meines Wissens ist dies aber alles andere als weit hergeholt, sondern die Doppelbedeutung als Verhältnis und Vernunft ist absolut gewollt.
Die alten Griechen führten große Diskussionen, ob es soetwas soetwas wie die Wurzel aus 2 überhaupt geben könne oder ob es nicht eine rationale - vernünftige Zahl sein müsse. Die Diskussion muss wohl ähnlich abgelaufen sein, wie bei der imaginären Einheit. Die Ähnlichkeiten in der Begriffsbildung kommen wohl nicht von ungefähr.

Gruß,
Felix


Re: Was summt denn da?
von Wally am Fr. 28. Oktober 2011 22:49:43 http://silber-ruecken.de/ghhp/Peter


Lieber Hans-Jürgen;

für einen wie mich, der Mathematik genauso wie Sprache mag, ist das ein Genuss, deinen Artikel zu lesen.

Vielen Dank

Peter


Re: Was summt denn da?
von
Hans-Juergen/span> am Sa. 29. Oktober 2011 09:53:14 http://www.hjcaspar.de


Hi,

vielen Dank für die freundlichen Kommentare, von denen einige auch noch lehrreich sind!

Herzliche Grüße,
Hans-Jürgen


Re: Was summt denn da?
von Anonymous am So. 04. März 2012 01:39:53


Eine kleine Korrektur zum Begriff "tropisch", der kommt naemlich nicht von "tropos" wie der Autor hier schreibt, sondern ist zu Ehren der Brasilianischen Mathematiker gewaehlt worden, die als erste auf diesem Gebiet gearbeitet haben. Er hat damit entfernt also doch etwas mit "heiss" zu tun.

Gruss
M.

Re: Was summt denn da?
von Hans-Juergen am Mo. 05. März 2012 12:19:52 http://www.hjcaspar.de


Hallo M.,

danke für den Hinweis, im Internet u. a. hier, S. 3, Anfang von 1.3, zu finden.

Gruß,
Hans-Jürgen

Zurück zur Themenübersicht, Teil 2