Über das Vakuum

Mit diesem Wort bezeichnet man das Leere, den leeren Raum. Bis zum Beginn der Neuzeit waren Philosophen und Naturwissenschaftler der Meinung, daß das Vakuum ein reines Gedankending sei, das es in Wirklichkeit nicht gibt und nicht geben kann. Die Natur empfinde einen regelrechten Abscheu vor dem Leeren und fürchte sich davor. In der damaligen Wissenschaftssprache Latein war hierbei vom "horror vacui" die Rede. Diese Ansicht hatte dasselbe Gewicht wie das später aufgestellte Dogma "natura non facit saltūs" - die Natur macht keine Sprünge, das erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Quantentheorie aufgegeben wurde.

Nahegelegt und unterstützt wurde die Vorstellung von der Angst der Natur vor dem Vakuum durch Tätigkeiten wie das Trinken mit Hilfe eines Strohhalms oder das Hochpumpen von Grundwasser mit Kolbenpumpen, die es schon im Altertum gab.

Eigenartig war bei diesen nur, daß sie ihren Dienst versagten, wenn Wasser aus mehr als zehn Metern Tiefe gepumpt werden sollte. Das ließ sich damit, daß die Natur kein Vakuum dulde, nicht begründen.

Die Legende berichtet, daß Bauern der Toskana, die Wasser aus größeren Tiefen hochpumpen wollten und es auch mit den besten Pumpen nicht schafften, sich in dieser Frage an Galilei (1564 bis 1642) wandten, der damals schon sehr berühmt war und von dem sie sich Hilfe erhofften.

Er erklärte ihnen, daß das Wasser beim Trinken [1] und Pumpen nicht hochgesaugt wird, wie es der gängigen Vorstellung entsprach (und teilweise auch heute noch geglaubt wird [2]), sondern daß der äußere Luftdruck es hochdrückt. Dieser reiche nicht aus, um eine Wassersäule von mehr als zehn Metern zu tragen.

Ob die Bauern, die enttäuscht wieder abzogen, diese Erklärung verstanden, ist zweifelhaft. Im übrigen scheint die in Physikbüchern wiedergegebene Legende falsch zu sein. Vielmehr wird Galilei noch zu den Anhängern der horror-vacui-Theorie gerechnet, und erst sein Schüler Evangelista Torricelli (1608 bis 1647) verhalf der Erkenntnis von der Wirkung des Luftdrucks durch seine Experimente mit einer quecksilbergefüllten, einseitig verschlossenen Glasröhre zum Durchbruch.[3]

Wie es häufig ist, so stieß Neues auch hier auf Widerspruch, und die Anhänger der hergebrachten Anschauung gaben sich nicht sofort geschlagen. Deshalb experimentierten, um sie zu überzeugen, auch noch andere Physiker mit dem Luftdruck, unter ihnen Johannes Kepler (1571 bis 1630), Blaise Pascal (1623 bis 1662)[3] und Otto von Guericke (1602 bis 1686), Bürgermeister von Magdeburg. Dessen öffentlich vor einem großen Publikum vorgeführter Versuch mit den nach dieser Stadt benannten Halbkugeln wurde weltberühmt.

Dazu schrieb er unter anderem: "Weil die Gelehrten nun schon seit langem über das Leere, ob es vorhanden sei, ob nicht, oder was es sei, gar heftig untereinander stritten (...) konnte ich mein brennendes Verlangen, die Wahrheit dieses fragwürdigen Etwas zu ergründen, nicht mehr eindämmen."[4]

Der Bürgermeister war bei seinem Schauversuch auch ein wenig Psychologe. Er verwendete sechzehn Pferde, die in entgegengesetzter Richtung an den Halbkugeln zogen. Dabei hätten acht Pferde genügt und anstelle der anderen acht hätte er einen starken Haken an einer festen Wand nehmen oder eine der beiden Halbkugeln mit einem Seil an einem dicken Baum festbinden können. Aber sechzehn Pferde insgesamt auf beiden Seiten machten natürlich mehr Eindruck. (Auf dieses Detail wird in den zahlreichen Internetseiten über das Magdeburger Experiment erstaunlicher Weise so gut wie nie hingewiesen.)

Verblüffend war auch eine hiermit in Zusammenhang stehende Vorführung eines Zauberkünstlers, die vor langer Zeit im Fernsehen gezeigt wurde. (Man verzeihe die Abschweifung.) Der Zauberer mit Frack, Zylinder und weißen Handschuhen betrat die Bühne und zeigte dem Publikum eine scheinbar gewöhnliche, leere Coladose. Er stellte sie auf den Tisch, trat ein paar Meter zurück und erklärte, daß er die Dose allein durch seine Gedankenkräfte zum Einknicken bringen könne, ohne sie zu berühren. Tatsächlich verformte sie sich nach kurzer Zeit und lag, wie von Geisterhand zusammengedrückt und völlig zerknauscht, da. (Die Fernsehkamera verfolgte das Geschehen in Nahaufnahme die ganze Zeit, und die Leute, auf die sie anschließend schwenkte, schienen von den "übersinnlichen" Fähigkeiten des Magiers beeindruckt.)

Selber erklärte ich mir die Sache so: bevor die Show begann, erhitzte der Zauberkünstler die leere Dose. Dadurch dehnte sich die Luft in ihr aus, und ein Teil davon entwich durch das zum Ausgießen oder Austrinken gedachte Loch im Deckel. Bei hoher Temperatur klebte es der Zauberer zu und betrat mit der präparierten Dose rasch die Bühne. Die weißen Handschuhe, die mir gleich aufgefallen waren, trug er nicht zwecks erhöhter Eleganz; sie waren vermutlich aus Asbest oder einem ähnlichen Material mit schlechter Wärmeleitfähigkeit. So konnte er die heiße Dose bequem anfassen, ohne sich die Hand zu verbrennen. Was dann geschah, ist klar: während der Künstler auf das Publikum einredete, kühlten sich die Dose und die in ihr befindliche Luft ab, im Innern herrschte ein geringerer Druck als draußen, und die Druckdifferenz war so groß, daß die Dose zusammengedrückt wurde.

Zurück zu Otto von Guericke. Er war auch der Erfinder der Luftpumpe, indem er eine Feuerspritze umbaute. Die weiteren Fortschritte auf diesem Gebiet bis in unsere Zeit bilden ein spannendes Kapitel für sich, das hier nicht einmal angerissen werden kann. Erwähnt sei nur, daß auch mit den ausgeklügeltsten Methoden und technischen Raffinessen kein vollständiges, absolutes Vakuum erreicht wird.

Lange Zeit hielt man den Weltraum bzw. Teile von ihm für ein solches, doch ist das nicht  richtig. Auch dort, wo es keine großen oder kleineren Himmelskörper gibt wie Sonnen, Planeten, Kometen, Asteroiden und auch nicht den feinem interstellaren Staub, sind immer noch zahllose Teilchen atomaren Ursprungs vorhanden, die mit verschiedenen Geschwindigkeiten in allen Richtungen durcheinander fliegen. Die bekanntesten von ihnen sind Elektronen und Protonen sowie die schwer nachweisbaren, weil (nahezu) masselosen und ungeladenen Neutrinos. Außerdem ist der Weltraum erfüllt mit Photonen, denn die "Sterne" senden ja seit Urzeiten Licht aus. Auch für das menschliche Auge unsichtbare Strahlung besteht aus Photonen. So kommt man wieder der antiken Vorstellung nahe, daß es in Wirklichkeit kein Vakuum in strengem Sinne gibt.[5]

In der theoretischen Physik wird gelehrt, dass das "Vakuum" des Weltalls gekrümmt sei. Das ist eine komplizierte mathematische Konstruktion, die fachlichen Laien ähnlich mysteriös erscheint wie die in der Renaissancezeit überwundene Idee vom "horror vacui".

[1] Wilhelm Busch dichtete: "... Doch siehe da, im trauten Kreis / sitzt Jüngling, Mann und Jubelgreis, / und jeder hebt an seinen Mund / ein Hohlgefäß, was meistens rund, / um draus in ziemlich kurzer Zeit, / die drin enthaltne Flüssigkeit / mit Lust und freudigem Bemühn / zu saugen und herauszuziehn./ ..."
[2] Aus einem Schülerwettbewerb:  "Magdeburger Halbkugeln" (Halbkugeln werden aneinandergesogen), www.hh.schule.de/kaifu/upload/P2005TEIL3.pdf, S. 3
[3] Torricellis Versuch wird u. a. hier  beschrieben.
[4] Experimenta nova (ut vocantur) Magdeburgica De Vacuo Spatio - auf deutsch: Neue   Magdeburger Experimente (wie sie genannt werden) über den leeren Raum
[5] Über das Nichts, spannende moderne Zusammenfassung über ein uraltes Thema



Hans-Jürgen 25.4.2006

Nachtrag 20.11.12 (nicht auf dem Matheplaneten):

410. Geburtstag von Otto von Guericke

Noch ein Nachtrag: hier wird eine Darstellung des Magdeburger Halbkugelversuchs ohne Pferde wiedergegeben.

Und noch einer (2022): "Eine Waage für das Vakuum"

Beim (langsamen) Öffnen von Konservengläsern und -dosen, in denen ein Luft-Unterdruck herrscht, ist manchmal ein kleines Geräusch zu hören, das zu dem scherzhaft gemeinten Spruch "Zischend entweicht das Vakuum" führte.

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