Urknall vs. Big Bang
(vs.= versus, lat.: "gegen", "contra" z. B. beim Sport; auch: "im Gegensatz oder Vergleich zu")

In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde festgestellt, dass astronomische Objekte, die mit den damaligen Fernrohren nur nebelhaft zu erkennen waren, sich immer weiter vom irdischen Beobachter entfernen, was als die "Flucht der Spiralnebel" bezeichnet wurde. Man schloss daraus, dass nicht nur sie, sondern alle Himmelskörper früher enger beisammen waren. Das sollte so weit gegangen sein, dass sie anfangs einen einzigen kleinen, sehr dichten und heißen Körper bildeten, der scherzhaft "kosmisches Ei" genannt wurde. Seine Größe wird bis heute manchmal mit der einer Pampelmuse verglichen. Meistens aber nehmen die Kosmologen einen Punkt mit unendlicher Dichte und Temperatur an, obwohl diese der Physik an sich fremd sind. Irgendwann, so wurde weiter vermutet, explodierte das kosmische Ei, und aus seinen Trümmern entstanden alle Sterne und Galaxien, aus denen das jetzige Universum besteht.

Diese "Explosion" wurde im Englischen "Big Bang" genannt, d. h. einfach nur "Großer Knall", während es im Deutschen damit anders aussieht. Hier hat sich der Ausdruck "Urknall" eingebürgert, wodurch eine bestimmte Denkrichtung entstand: Da die Vorsilbe "Ur" wie bei Uraufführung, Urbewohner, Urmeter u. ä. etwas beschreibt, das als erstes da war und keinen Vorgänger hat, bezeichnet der Begriff "Urknall" nicht nur besagte angenommene Explosion, sondern gleichzeitig auch den Anfang des Universums, was beim Wort "Big Bang" nicht automatisch vorausgesetzt wird.

Man glaubte sogar, und viele glauben immer noch daran, angenähert den Zeitpunkt des vermeintlichen "Urknalls" angeben zu können, und damit auch, wann das Universum entstand. Das soll vor ca. 13,7 Milliarden Jahren gewesen sein. (Nach anderen Angaben könnten es auch 14,5 Mrd. Jahre sein, vgl. hier, Fußnote.)

In einem YouTube-Video, das dieser Thematik gewidmet ist, vermeidet Herr Professor Harald Lesch, ein beliebter Erklärer naturwissenschaftlicher Phänomene, den Ausdruck "Urknall" und verwendet statt dessen den weniger verfänglichen englischen Begriff; doch behauptet auch er, wie es die Urknall-Theoretiker tun, dass das Universum ungefähr fünfzehn Milliarden Jahre alt ist.

Professor Lesch kann nicht verstehen, dass es Menschen gibt (angeblich "vierzig Prozent der Bundesbürger" nach einer Emnid-Umfrage), die fragen, was vor dem Big Bang war. Er meint, dass mit diesem einfach Alles entstand: nicht nur die Sterne, Galaxien usw., sondern auch die Naturgesetze, der Raum und die Zeit. Deshalb ließe sich die Frage, was davor war, gar nicht erst stellen.

Trotzdem geht er in dem Video auf sie ein und argumentiert temperamentvoll "mit Händen und Füßen", wie er selber sagt. Dabei schwingt Unsicherheit mit. "Verzweifelt" fragt der Professor: "Wie soll ich Ihnen das jetzt erklären?" Minutenlang redet er bildhaft von "Erbsensuppe", später auch, dem andächtig lauschenden Publikum einzelne Brocken aus dem Vokabular der Quantentheorie hinwerfend, von "Badeschaum"1, wobei er sich die Bemerkung "Vielleicht hat der liebe Gott gebadet" nicht verkneifen kann2. Am Ende seines Vortrags kommt er zu der wenig überraschenden Feststellung, dass sich manches, wie zum Beispiel die Liebe, naturwissenschaftlich nicht erklären lässt.

Nicht erwähnt wird in dem Video ein anderes Gedankenmodell, bei dem es durchaus sinnvoll ist zu fragen, was vor einem Big Bang war: das pulsierende oder oszillierende Universum. Dieses dehnt sich abwechselnd aus und zieht sich wieder zu einem Punkt zusammen, wobei es jedesmal "knallt". Träfe diese Vorstellung zu, dann wäre der Big Bang, von dem die meisten annehmen, er sei der einzige gewesen, in Wirklichkeit der vorläufig letzte in einer vielleicht unendlich langen Reihe; das Universum hätte keinen Anfang und kein Ende.

1 Auf ihn kam Herr Professor Lesch durch den sogenannten Quantenschaum.
2 Dabei ist er kein Atheist: "Ich bin vom Scheitel bis zur Sohle Protestant."

Anmerkung
Wenn in dem Video gesagt wird, dass die Naturgesetze die Folge des Big Bang waren, ist das eine willkürliche Setzung. Das Umgekehrte ist ebenso denkbar: der "Große Knall" war eine Folge der Naturgesetze. Sie waren vor ihm da; er fand in ihrem Rahmen statt; sie bewirkten ihn. Bei dieser Betrachtungsweise ist das Unverständnis Professor Leschs gegenüber den oben erwähnten "vierzig Prozent" nicht angebracht.
Denkbar ist vieles, Wahres und Falsches. Deshalb bin ich keineswegs der Ansicht, dass es ein oszillierendes Universum wirklich gibt. Weder für dieses noch für das Ein-Urknall-Modell, wie ich das von Herrn Professor Lesch bevorzugte einmal nennen möchte, gibt es den direkten experimentellen Beweis, nur indirekte Indizien und mehr oder weniger zahlreiche Ad-hoc-Annahmen, siehe dazu z. B. hier, S. 660ff.

Was ein Nobelpreisträger vertritt:
Roger Penrose (Wikipedia)

"Big Bang was not the beginning" (YouTube-Video, nach eventueller Reklame Beginn mit Sir Penrose bei 0:14 min)

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Nachtrag
Hier, im "Prolog" zu einem Vortrag über "Das Licht der Welt"3 zieht Herr Prof. Lesch den bekannten Vergleich mit der Erdkugel, auf der es südlich vom Südpol nichts gibt. Dieser Vergleich wird gerne verwendet, um diejenigen lächerlich zu machen, die nach dem "Davor" des Urknalls fragen; doch ist er nicht sachgerecht und hat mit der gestellten Frage nichts zu tun.
Selber denke ich zu alledem: Wenn, wie vermutet und behauptet, das "kosmische Ei" vor rund 15 Milliarden Jahren explodierte, muss es davor bereits vorhanden gewesen sein. Das bedeutet, es gab die Zeit schon vor dem Großen Knall, und sie entstand nicht erst zusammen mit ihm. Da für sie keine Begrenzungen zu bestehen scheinen, wird ebenfalls vermutet, dass es sie "schon immer" gab. Symbolisch wird das dadurch angedeutet, dass man die Zeitachse eines Koordinatensystems in Gedanken nach links gegen minus Unendlich gehen lässt.

3 Gläubige Menschen, zu denen Prof. Lesch nach eigener Angabe gehört, verbinden damit ein Bibelwort, vgl. Joh8,12.


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