Was ich über Mathematiker denke

Auf dem Matheplaneten fragte ein Schüler nach "Slogans" über Mathematiker und Physiker, die auch lustig sein können. Die Antworten, die er erhielt, waren die üblichen: verstreut im Internet zu findende, einfallslose Bemerkungen, durch die Mathematiker (und oft auch Physiker) als weltfremd und ungeschickt lächerlich gemacht werden. Da mir das missfällt, schrieb ich meine Ansicht über sie:

- Mathematiker bauen sich Häuser, in denen sie glücklich sind, und in die sie andere einladen.1
- Mathematiker lieben eine besondere Art von Schönheit.
- Mathematiker sind Sportler des Geistes.
- Sie wandern, oft auf steinigen Wegen, durch blühende, für andere unsichtbare Landschaften
  und durch tiefe, dunkle Täler, setzen sich selber Ziele, die Außenstehenden unbegreiflich sind.
- Sie können über Witze lachen, die andere, denen die Mathematik fremd ist, nicht verstehen.2
- Die Aufgabe des Mathematiklehrers ist es, die Fackel, die andere entzündeten, weiterzutragen.
- Es gibt Hobbymathematiker.
- In der Vergangenheit gab es davon große und berühmte. Von Beruf waren sie Juristen, Ärzte,
  Parlamentarier, Geistliche ... Einer war Chemiker (und sogar Nobelpreisträger) und beschrieb
  das Ergebnis eines nicht einfachen mathematischen Beweises in Form eines Gedichts.3 Ein anderer,
  schon vor rund 2400 Jahren, war Staatsmann, Feldherr und Musiktheoretiker4.

Mathematiker (ich bin keiner) beschäftigen sich mit sonderbar wirkenden Themen, z. B. der Frage,
ob der "leere Raum zusammenhängend" ist.5
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1Anmerkung: Hiermit meine ich von ihnen neu geschaffene Bereiche und Lehrgebäude, in denen sie produktiv sind und sich wohlfühlen. Die dabei erhaltenenen Resultate wie auch die aktive Mitarbeit stehen Angehörigen anderer Fachgebiete offen und können diesen von Nutzen sein. – Sehr lang und philosophisch, für mich trotzdem "genießbar": "Ernst Cassirer und der mathematische Raum ..." in https://dspace.ub.uni-siegen.de/bitstream/ubsi/1491/2/SieB_Band_11.pdf
2 Siehe zum Beispiel hier.
3 https://~the-kiss-precise-soddys-circle-theorem.html
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Archytas_von_Tarent
5 "Über die Null, den leeren Raum und andere triviale Fälle"

Fortsetzung

Es gibt Mathematiker, die finden manches "einfach", z. B. hier.

Andere machen Einfaches unnötig kompliziert. Hier wird zum Beispiel (ohne Ergebnis), die Lösung der Dgl. y''+4y'=ex als Eigenwertproblem behandelt, während man auf die übliche Art (mit partieller Lsg. der inhomogenen und allgemeiner Lsg. der homogenen Dgl.) leicht und schnell zum Ergebnis kommt: y = Ae-4x + ⅕ ex + B ;  A,B=konst.

Etwas, das Nichtmathematikern unmittelbar einleuchtet, wird hier umständlich (und für mich undurchsichtig) bewiesen:

"Eine unendliche Menge bleibt auch bei Wegnahme eines Elements unendlich.
Satz: Sei A eine unendliche Menge. Dann ist auch A - {x} eine unendliche Menge.
Beweis: Weil A unendlich ist, gilt nach Dedekind A‘ ⊂ A mit einer bijektiven Funktion f: A → A‘. Wegen A‘ ⊂ A gibt es ein b ∈ A - A‘. Wir setzen eine Funktion g: f mit dom(f) = A - {b}. g ist injektiv, weil f bijektiv und damit auch injektiv und die Wegnahme von b aus dom(f) daran nichts ändert. Nun ist f(b) ∉ rng(g), weil das Urbild b ∉ dom(g) = A - {b}. Auch ist f(b) ≠ b wg. f(b) ∈ rng(f) und b ∉ rng(f) = A‘. Genauso b ∉ rng(g) ⊆ A‘. Während trivial b ∉ A - {b}, ist f(b) ∈ A - {b}, denn f(b) ≠ b und f(b) ∈ rng(f) = A‘ ⊂ A.
Weil rng(g) ⊆ A‘ ⊂ A und weil rng(g) mit b, f(b) zwei Elemente von A fehlen, während A - {b} nur ein Element b fehlt, so gilt rng(g) ⊂ A - {b}. Wir betrachten nun nochmal die Funktion g: A - {b} → A‘ ⊆ A - {b} und zwar für den Fall A‘ = A - {b}. Auch hier gilt das oben zu g allgemein Gesagte, wonach g injektiv ist, während es aber wg. rng(g) ⊂ A - {b} nicht surjektiv sein kann (Schubfachprinzip), woraus nach Dedekinds Definition (in ihrer zweiten - weniger verbreiteten - Variante, wonach M unendlich gdw. ein f: M → M injektiv, aber nicht surjektiv) A - {b} als unendliche Menge folgt. Nun ist |A - {b}| = |A - {x}| für x ∈ A, so dass ganz allgemein A - {x} (dedekind) unendlich. w.z.b.w." (aus "Matheplanet")

Wesen und Ziele der modernen Mathematik werden in diesem Artikel dargestellt.

Ein ungewöhnlicher, allegorischer, persönlicher und fast liebevoller Aufsatz zum Thema Warum Mathematik?
Ebenfalls auf dem "Matheplaneten": Der Sinn des Ganzen

Humor: Bestimmte hochspezialisierte mathematische Definitionen, Fachartikel und Abhandlungen werden mit ihrem bisweilen seltsam anmutenden Vokabular, ihrer Formelsymbolik und Zitierweise im Internet parodiert, zum Teil sogar automatisch, s. [4] [5] [6], [7] (dt. Teilübersetzung).

Physik:
Seit Jahrhunderten ist die Mathematik ein wertvolles Werkzeug, physikalische Erscheinungen und Sachverhalte zu beschreiben, wobei sich die Anwendungsbereiche immer mehr erweiterten und der mathematische Aufwand/Schwierigkeitsgrad entsprechend zunahm. Wer auf bestimmten Gebieten aktueller Theorien der Quantenphysik und der Kosmologie mithalten oder sich auch nur informieren möchte, muss erst einmal einige Semester einschlägiger Mathematik6 absolvieren; sonst versteht er nicht, worum es bei den einzelnen Problemen überhaupt geht, welches die Fragestellungen und Ergebnisse sind, und was sie bedeuten. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel ist dies:

Marcelo Amaral, Richard Clawson, Klee Irwin
In dieser Arbeit definieren wir quasikristalline Spinnetzwerke als einen Unterraum innerhalb des Standard-Hilbert-Raums der Schleifenquantengravitation, wodurch die Zustände effektiv auf kohärente Zustände beschränkt werden, die mit den Strukturen der Quasikristallgeometrie übereinstimmen. Wir führen quasikristalline Spinschaumamplituden ein, eine Variation des EPRL-Spinschaummodells, bei dem die internen Spinmarkierungen so eingeschränkt sind, dass sie den Randdaten quasikristalliner Spinnetzwerke entsprechen. Innerhalb dieses Rahmens kodieren die quasikristallinen Spinschaumamplituden die Dynamik von Quantengeometrien, die aperiodische Strukturen aufweisen. Darüber hinaus untersuchen wir die Kopplung von Fermionen innerhalb der quasikristallinen Spinschaumamplituden. Wir stellen Berechnungen für dreidimensionale Beispiele vor und untersuchen dann die 600-Zellen-Konstruktion, die ein grund-legender Bestandteil des vierdimensionalen Elser-Sloane-Quasikristalls ist, der aus dem E8-Wurzelgitter abgeleitet ist."
(aus: https://arxiv.org/abs/2306.01964, automatisch vom Englischen ins Deutsche übersetzt)

6 Was einen dabei erwartet, zeigt sich z. B. hier: https://wwwold.mathematik.tu-dortmund.de/lsi/kaballo/Hilbert14/Kap1-10.pdf

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