Über "Quantensprünge"

In öffentlichen Reden und Interviews, in den Feuilletons von Zeitungen und anderswo hört und liest man gelegentlich, es habe ein Quantensprung stattgefunden, manchmal sogar ein großer.  Damit soll unterstrichen werden, daß es sich bei dem betreffenden Ereignis um etwas ganz Besonderes, Neues und Umwerfendes handelt – typische Beispiele siehe hier. Dabei wird die Bedeutung dieses Begriffs völlig verkannt.

Ursprünglich entstammt er der Atomphysik vom Anfang des 20. Jahrhunderts und bezeichnet etwas sehr Kleines, von uns nicht Wahrnehmbares. Quantensprünge sind auch nicht, wie es die oben genannte, verfehlte Ausdrucksweise suggeriert, etwas Seltenes, Außergewöhnliches, sondern sie geschehen ständig und überall in unsagbar großer Anzahl.

Im Jahre 1900 erkannte Max Planck (1858-1947), daß Atome und Moleküle bei der Wechselwirkung mit elektromagnetischer Strahlung Energie nicht kontinuierlich aufnehmen und abgeben, sondern in winzigen diskreten Portionen, die er "Quanten" nannte (von lat. "quantum", was einfach nur "Menge" bedeutet). Niels Bohr (1885-1962) wendete 1913 diese Idee auf das nach ihm benannte, dem Planetensystem nachempfundene Atommodell an und hatte damit bei der Entschlüsselung der vorher rätselhaften Wasserstoff-Spektrallinien großen Erfolg.

Bohr postulierte, um beim Wasserstoffatom zu bleiben, daß dessen einziges Elektron nur auf Bahnen mit ganz bestimmten Radien um den Kern kreisen und somit auch nur ganz bestimmte Energiewerte besitzen kann. Irgenwelche Zwischenwerte seien nicht möglich. Die jeweils aktuelle Energie, die das Elektron gerade hat, wird dadurch verändert, daß das Atom aus dem umgebenden Strahlungsfeld Energiequanten im Planckschen Sinne aufnimmt oder sie nach außen wieder abgibt.
 
Dabei "springt" das Elektron von einer Kreisbahn zur anderen, und so entstand der Ausdruck "Quantensprung".

Wieviel Zeit für die Übergänge zwischen erlaubten Quantenzuständen benötigt wird – darüber schweigt sich zumindest die ältere Theorie aus. Anscheinend wird bei ihr angenommen, daß die Übergänge momentan, gewissermaßen zeitlos erfolgen. Neuere Entwicklungen machen gedanklich von einer sogenannten "Elementarzeit" in der Größenordnung von 10-43 Sekunden Gebrauch, d. h. neben der Energie wird auch die Zeit "gequantelt".

Ebenso ist es mit dem Raum. Denn wenn, um noch einmal auf das Bohrsche Modell zurückzukommen, dem "springenden" Elektron bestimmte Orte "verboten" sind, bedeutet dies, daß es sich nur an den Punkten eines wie auch immer geformten, räumlichen Gitters aufhalten kann. Der Raum wird dadurch, anstatt ein Kontinuum zu bilden, in lauter einzelne Zellen sehr geringer Größe eingeteilt. Hierbei ist von einer "Elementarlänge" die Rede.

Interessant für manche, die diesen kurzen Beitrag lesen, ist vielleicht, was Erwin Schrödinger (1887-1961) gegen Ende seines Lebens über "Quantensprünge" schrieb. In einem hier ausführlich zitierten und kommentierten, langen Artikel für eine englische Zeitschrift aus dem Jahre 1952 machte er deutlich, daß er gegen diese Vorstellung war. Die betreffenden Internetseiten führen auch zu Tondokumenten, auf denen die Stimme Schrödingers zu hören ist.

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