Bewegt sich bei der konformen Abbildung w=1/z (z=x+iy,
w=u+iv) der Originalpunkt in der z-Ebene auf einem Kreis, der nicht durch
den Ursprung geht, so trifft das bekanntlich auch für den Bildpunkt in
der w-Ebene zu. Man spricht deshalb in diesem Zusammenhang auch von
"Kreisverwandtschaft". Gewöhnlich wird nicht untersucht (obwohl
es naheliegt), wie sich der Bildpunkt verhält, wenn der Originalpunkt
statt einer kreisförmigen eine andere gekrümmte Bahn beschreibt,
und welche weiteren Kurvenverwandtschaften eventuell dadurch sichtbar
werden.
Dies soll im folgenden anhand einiger ausgewählter Beispiele geschehen.
Als erstes bewege sich der der Originalpunkt auf der Hyperbel mit
der Gleichung y=a/x, a>0. Setzt man in die für die Abbildung w=1/z
gültigen Transformationsformeln (1)


a/x für y ein und eliminiert x, so ergibt sich für die Bildkurve:
a (u² + v² )² = - u v.
Dies ist die Gleichung einer Lemniskate, einer im 2. und 4.
Quadranten schräg liegenden "Acht". Fig. 1 zeigt sie zusammen
mit der erzeugenden Hyperbel für a=1/4:

Hyperbel und
Lemniskate sind demnach über die Abbildung w=1/z ebenso miteinander
verwandt wie den Ursprung meidende Kreise der z- und w-Ebene.
Auf der Suche nach einem weiteren Kurvenpaar mit dieser Eigenschaft
lassen wir nun den Originalpunkt in der z-Ebene auf einer Parabel
wandern, die symmetrisch zur imaginären Achse verläuft. Folgt sie der
Gleichung y=ax² +b, dann ergibt dies zusammen mit (1) nach Einsetzen von y
und Elimination von x:
a u² + b (u² + v² )² + (u² + v² )v = 0,
oder nach Einführung von Polarkoordinaten mit u = r cosφ, v = r sinφ:
b r² + sinφ · r + a cos² φ = 0.
Die Lösung dieser quadratischen Gleichung,

wird bei Wahl des Minuszeichens und für 4ab = -1 (2)
zu
r = 2 a (sinφ + 1)
und beschreibt eine Kardioide. Dies zeigt sich beispielsweise an
der Parabel mit der Gleichung y=x²/3-3/4, welche die Bedingung (2)
erfüllt, vgl. Fig. 2:

Ersetzt man in der
Bahngleichung des Originalpunktes das Minuszeichen durch ein Pluszeichen,
so daß (2) nicht mehr erfüllt ist, dann liefert die veränderte
Parabel mit y=x²/3+3/4 eine Bildkurve, die an einen Tropfen oder ein
Blatt erinnert (Fig. 3):

Ihre Gleichung
lautet
9(u² + v² ) + 12(u² + v² )v + 4u² = 0 ,
und sie scheint keinen besonderen Namen zu haben.
Da Kreis, Hyperbel und Parabel Kegelschnitte sind, betrachten wir
abschließend aus dieser Familie als Originalkurve die Ellipse mit
dem Mittelpunkt im Ursprung und den Halbachsen a=1, b=1,25. Sie folgt der
Gleichung
25x² + 16y² = 25,
während sich für die Bildkurve die Gleichung
25u² + 16v² = 25(u² + v²)
ergibt.
Aus ihr ist ersichtlich, daß sich der Bildpunkt nicht auch auf einer
Ellipse bewegt, doch zeigt Fig. 4, daß die Bildkurve von der Ellipsenform
nur wenig abweicht. (Zum Vergleich ist eine richtige Ellipse mit den
gleichen Halbachsen eingezeichnet.)

Die
ellipsenähnliche Kurve in Fig. 4 gehört zu den "spirischen Linien
des Perseus". Diese entstehen beim Schnitt einer Ebene mit einem
Torus. [1]
*
Weiter entfernt von
der Ellipse ist die Bahn des Bildpunktes, wenn sich der Originalpunkt wie
in Fig. 5 auf der als Versiera (auch "Locke") der Maria
Agnesi bezeichneten Kurve [2] mit der Gleichung y=1/(1+x²) bewegt.

Die
Bildkurve folgt der Gleichung
(u² + v²)³ + [(u² + v²)² + u² ]v = 0
und erinnert durch ihre nahezu geradlinigen Mittelteile an den aus
Strecken und Halbkreisen zusammengesetzten Rand der Aschenbahn einer
Sportanlage. Ich nenne sie deshalb "Stadionkurve".
Literatur:
[1] Kuno Fladt, Analytische Geometrie spezieller ebener Kurven,
Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main 1962, S. 265 f.
[2] N. M. Günter / R. O. Kusmin, Aufgabensammlung zur höheren Mathematik,
Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1978, Bd. I, S. 9, Nr. 124
und S. 79, Nr. 368.