Johann Jakob Scheuchzer – ein Schweizer Universalgelehrter (1672-1733)

Bereits im Juni starb vor 280 Jahren der in der Überschrift Genannte. Er war dies alles zugleich: Mediziner, Naturforscher, Mathematiker, Paläontologe, Meteorologe, Geodät, Geograph, Historiker, Numismatiker, Theologe und Philologe. [1]  Seit der Kindheit sprach er, schulbedingt, fließend Latein (so ging es auch Martin Luther), konnte Griechisch und moderne Sprachen. Er war Mathematiklehrer und Physikprofessor und verfaßte das erste Physikbuch in deutscher Sprache. [2]

Scheuchzers Hauptwerk ist eine sonderbare Art von Bibel, die "Physica Sacra", d. h. Geheiligte Naturwissenschaft [3]:

Sie enthält zusätzlich zu den üblichen Bibelversen ausführliche, zum Teil sehr lange Betrachtungen physikalischer, astronomischer, botanischer, ... , auch medizinischer Art, alle in dem Bemühen, das Wirken Gottes in der Natur und im Leben des Menschen herauszustellen und glaubhaft zu machen.

Bei der damals sehr konservativen Schweizer Geistlichkeit stieß Scheuchzer damit auf Widerstand. Es wurde ihm verboten, das Werk bei sich zu veröffentlichen, und so ließ er es in Deutschland drucken. Der merkwürdig klingende Name "Kupfer-Bibel" rührt daher, daß die "Physica Sacra" 750(!) großformatige Kupferstiche enthält, die auch im Internet wiedergegeben werden. [3][4] Die meisten sind schwarz-weiß und recht dunkel, während die Originale farbig und klarer zu erkennen sind [5][6]:



Das linke Bild stellt die Anatomie des menschlichen Kopfes, insbesondere des Auges, dar - Scheuchzer war ja auch Arzt -, und im rechten wird die Theorie des Regenbogens angedeutet.

Bei seinen wissenschaftlichen Darstellungen griff er auf Erkenntnisse anderer Gelehrter zurück. Befreundet war Scheuchzer mit einem Mitglied der Schweizer Mathematikerfamilie Bernoulli. Er kannte Newtons Opticks und dessen Gravitationsgesetz und dachte über die Massenanziehung der im sonst leeren Weltall weit verteilten Objekte nach. Angesichts ihrer Kleinheit im Vergleich zu den gegenseitigen Entfernungen nannte er sie "Stäubgen" und zählte zu ihnen auch die Erde. Daß sich manche enger benachbarte im Laufe der Zeit zusammenballten, konnte er sich vorstellen, nicht aber, wie es zu den verschiedenen beobachtbaren Rotationsbewegungen kam. Dafür hatte er keine physikalische, sondern eine religiöse Erklärung. Hierbei beschrieb er die Folgen für die Menschen, für den Fall, daß es die Erddrehung nicht gäbe und die Neigung der Erdachse eine andere wäre. Ungewöhnlich für eine Bibel (und im Grunde einmalig) sind von Scheuchzer wiedergegebene numerische Tabellen über die Eigenschaften unseres Planetensystems.

Das über zweitausend Seiten umfassende Werk enthält viel Anregendes1 und gewiß auch manches Seltsame. Trotz der damals üblich gewesenen Frakturschrift läßt es sich im Internet unter den angegebenen Adressen gut lesen. Nachdrucke werden im Buchhandel angeboten.

Scheuchzer widmete sich intensiv auch der Geographie und Beschreibung seiner heimatlichen Gebirgslandschaft. Bei Höhenbestimmungen gab er barometrischen Messungen gegenüber aufwendigeren trigonometrischen Methoden den Vorzug.

Ihm und seinem Bruder Johannes zu Ehren wurde die inzwischen bei uns selten gewordene Blumenbinse im wissenschaftlichen Sprachgebrauch Scheuchzeria palustris benannt.

Bei seinen mineralischen Studien fand Johann Jakob Scheuchzer die Versteinerung eines ausgestorbenen Riesensalamanders, der später den Namen Andrias scheuchzeri erhielt. Dieser spielt in dem utopischen Roman "Der Krieg mit den Molchen" des tschechischen Autors Karel Čapek eine Rolle, welcher rund zweihundert Jahre nach dem Tod des Schweizer Universalgelehrten erschien.2

Čapek (1890-1938) war ein bedeutender Schriftsteller seines Landes und ein Gegner jeglicher Diktatur. Besonders bedrohlich erschien ihm Mitte der dreißiger Jahre der Nationalsozialismus. Nach dem Münchner Abkommen vor 75 Jahren entmutigt, nahm er sich durch Verhungern selber das Leben. Der deutschen Geheimen Staatspolizei (Gestapo) galt er als "Staatsfeind Nr. 2" (Wikipedia). Sein Ende ähnelte, wenn auch aus anderen Gründen, dem des österreichischen Mathematikers Kurt Gödel.

Ein anderer tschechischer Patriot war der Student Jan Palach [7], der sich 1968 aus Protest gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag selbst verbrannte. An ihm waren in nicht völlig geklärtem Umfang [8] deutsche Soldaten beteiligt – diesmal in den wehrmachtsähnlichen Uniformen der "DDR" – , dreißig Jahre nach der Besetzung eines Teils der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland.

[1] Diese Aufzählung entstammt einer Seite des Deutschen Museums über ihn.
[2] Biografie
[3] Physica Sacra Erste Abteilung. Textbeginn auf S. 1 nach div. Registern m. röm. Seitenzahlen u. längerem Scrollen
[4] Physica Sacra Vierte Abteilung
[5] Physica Sacra Kupfer-Tafeln...   II. Abteilung.
[6] Unterseite von [1]
[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Palach
[8] Wikipedia – Aus einer deutschsprachigen Internetseite von Radio Praha: "Zehntausende von Soldaten aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn, Bulgarien und der DDR marschierten in die Tschechoslowakei ein und beendeten so die Reformbewegung des Prager Frühlings."
1Interessant finde ich, um nur ein Beispiel zu nennen, was er in [4] ab S. 743 über die Ameisen schreibt.
2Der Roman ist gebunden und gebraucht im Internet für wenige Euro erhältlich.

Hans-Jürgen, Nov. 2013

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