Imaginärer Kreis

Bekanntlich beschreibt die Gleichung
x² + y² = 1        (1)
in einem kartesischen xy-Koordinatensystem den Einheitskreis um den Ursprung. Sie hat unendlich viele reelle Lösungspaare (x,y). Dagegen hat die ähnlich aussehende Gleichung
x² + y² = - 1       (2)
keine reellen Lösungen. Man spricht im Zusammenhang mit ihr auch von einem "imaginären" Kreis.[1][2] Damit ist gemeint, dass dieser "Kreis" unbestimmt und unsichtbar ist und nicht gezeichnet werden kann.

Um komplexe Lösungspaare (x,y) mit
x = a + bi, y = c + di ,  a...d Îℝ   (3)
zu finden, setzen wir (3) in (2) ein:
(a + bi)² + (c + di)² + 1 = 0
a² - b² + c² -d² + 1 + 2i(ab + cd) = 0.

Hieraus folgt, dass
a² - b² + c² - d² + 1 = 0    (4)
und
ab + cd = 0     (5)
sein muss.

Dies sind zwei Gleichungen für vier unbekannte Zahlen a...d, und man kann zwei von ihnen frei wählen. Sei b=0 und c=0, dann wird x reell und y rein imaginär.

Gl. (5) ist hierdurch erfüllt, und (4) wird zu
a² - d² + 1 = 0 ,
woraus a=±Ö(d²-1) folgt. Wir haben also
x = a = ±Ö(d²-1) und y = d i ;
dabei muss |d|³1 sein.

Für jedes zulässige d (außer d=1) ergeben sich in der komplexen Zahlenebene zwei Punkte symmetrisch zur imaginären Achse. Insgesamt bilden sie die folgende, nicht geschlossene Kurve:



Sie erfüllt Gl. (2): x² + y² = (±Ö(d²-1))² + (d i)² = d² - 1 - d² = - 1 und entspricht dem imaginären Kreis, der, wie gesagt, in einem reellen Koordinatensystem nicht darstellbar ist.

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[1] G. E. Joos, E. Richter: Höhere Mathematik, Hamburg 2012, S. 159 ("imaginärer Kegelschnitt")
[2] A. F. Möbius: Ueber imaginäre Kreise