Ich komme noch einmal auf diese Figur von der Vorseite zurück:

Sie veranschaulicht, dass der innere Kreis aus ebenso vielen Punkten besteht wie der äußere, weil die Punkte auf beiden Kreisen durch Pfeile umkehrbar eindeutig einander zugeordnet werden. (Gezeichnet ist nur ein kleiner Teil.)

Üblicher Weise sagt man hierbei, dass die beiden Kreise, als Punktmengen aufgefasst, die gleiche Mächtigkeit besitzen oder gleichmächtig sind. (Bei Cantor noch: "äquivalent", mehr dazu s. hier.)

In der folgenden Figur

besteht der graue Kreisring aus eng aneinander liegenden, konzentrischen Kreisen. Jeder ist gleichmächtig mit dem großen roten Kreis, denn es lassen sich auch bei ihm entsprechende Zuordnungs-Doppelpfeile eintragen wie in der ersten Figur. Somit haben die grauen Kreise alle die gleiche Mächtigkeit: die des großen roten und übrigens auch des kleinen roten Kreises.

Ist die Anzahl der grauen Kreise gleich n, dann müsste nach dieser Anschauung die Mächtigkeit der Kreisringfläche insgesamt gleich dem n-fachen der Mächtigkeit eines roten Kreises sein, und wenn n gegen Unendlich geht, wäre sie unendlichmal so groß.

Dass die Mächtigkeit einer Fläche größer ist als die einer gekrümmten oder geraden Linie, leuchtet unmittelbar ein und scheint keinen Beweis zu erfordern. Dennoch versuchte Georg Cantor einen solchen – und kam zu einem anderen Ergebnis!

Er betrachtete das Quadrat über der Strecke von 0 bis 1 auf der Zahlengeraden und verwandelte nach einem besonderen,
von ihm erfundenen Verfahren die reellen Koordinatenpaare der Quadratpunkte in reelle Einzelzahlen. Diese lassen sich umkehrbar eindeutig den Zahlen auf der Einheitsstrecke zuordnen, und das bedeutet, entgegen der äußeren Anschauung: die Fläche des Quadrats und seine Grundseite sind von gleicher Mächtigkeit. Hierbei wird von dem dubiosen Punktbegriff kein Gebrauch gemacht.
Das Verfahren wird hier anhand einer interaktiven Grafik vorgestellt und hier ausführlich erklärt.

Von seiner Entdeckung war Cantor selbst überrascht. "Ich sehe es, aber ich glaube es nicht!" schrieb er seinem Freund und ebenso berühmten Mathematiker Richard Dedekind.

Ergänzung:

In der folgenden Figur sind die Punkte der beiden waagerechten Strecken stark vergrößert als kleine Vierecke angedeutet:

Jedem "Punkt" der oberen Strecke ist genau ein "Punkt" der unteren Strecke umkehrbar eindeutig zugeordnet. (Die "Punkte" sind unterschiedlich gefärbt, um nebeneinander liegende besser unterscheiden zu können.) Beide Strecken enthalten gleich viele "Punkte"; sie sind gleichmächtig.
Daran ändert sich nichts, wenn man die "Punkte" in Gedanken sehr klein und immer kleiner werden lässt. Unverändert bleibt dabei aber auch, dass die "Punkte" der unteren Strecke größer als die der oberen Strecke sind, wobei hinzu kommt, dass der Unterschied vom frei wählbaren Abstand der beiden Strecken abhängt und somit willkürlich ist.
Das lässt sich vermeiden, indem angenommen wird, dass die Größe der "Punkte" einen festen Wert, nämlich Null, hat (und ihre Anzahl unendlich groß wird).
Dies führt zu der möglichen Frage, wie unendlich viele Punkte der Größe 0 eine zusammenhängende Strecke oder Kurve ergeben können. Eine klare Antwort weiß ich nicht, denke aber daran, dass Strecken und Kurven selbst "unendlich dünn" und damit unsichtbar sind, wie auf der Vorseite bereits erwähnt. Nur damit wir uns besser über sie verständigen können, zeichnen und denken wir sie uns dicker und sichtbar.

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