Mit "Physik-Augen" durch Natur und Umwelt Re: Mit 'Physik Augen' durch
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Mit 'Physik Augen' durch die Natur und Umwelt
Der Matheplanet hat dankenswerter Weise auch eine Physikabteilung, von der reger Gebrauch gemacht wird. Sie gibt mir die Möglichkeit zu berichten, was man auf Spaziergängen und im Alltag beobachten kann, wenn man die Welt mit den Augen des Physikers sieht und erlebt. Anderen bleibt manches verborgen, so daß sie achtlos daran vorübergehen.
Bei mir beginnt es morgens beim Rasierspiegel. Warum vergrößert er, und was macht er noch? Oder, zu Weihnachten: warum verkleinern die Christbaumkugeln das Bild ihrer Umgebung?
Als ehemaligem Physiklehrer fällt es mir nicht schwer, darauf zu antworten.
Doch weiter, zu einer anderen Jahreszeit. An einem schönen, kühlen Sommermorgen blicke ich aus dem Fenster in den Garten und sehe Tautropfen auf dem Gras und an anderen Pflanzen. Manche leuchten als rote, grüne oder blaue Punkte, und der Farbeindruck wechselt, wenn ich den Kopf bewege oder meinen Standpunkt verändere. "Dispersion" denke ich, d. h. Abhängigkeit des Brechungsindex der Wassertropfen von der Wellenlänge des auffallenden weißen Mischlichts der Sonnenstrahlen, und als Folge davon deren farbliche Aufspaltung und Ablenkung in etwas verschiedene Richtungen. Manche Tautropfen hingegen sehen überhaupt nicht farbig aus, sondern bleiben hell glänzend. Hier spielt die Totalreflexion eine Rolle: unter bestimmten Bedingungen, die hier nicht ausgeführt werden sollen, wirken sie, obwohl durchsichtig, wie ideale Spiegel und werfen das einfallende Sonnenlicht farblich unzerlegt zurück. Die Totalreflexion kann man auch bei größeren Wasserkäfern beobachten. Bei ihnen haftet an ihrer Unterseite eine Luftschicht, und in manchen Augenblicken glänzen sie silbrig. Viel öfter beobachte ich die Totalreflexion bei kleinen Sprengern, aus deren feinen Düsen Wasser zur Seite spritzt. Fällt morgens die Sonne schräg auf sie, sehe ich nicht immer nur durchgehende Wasserstrahlen, sondern auch einzelne glänzende, auf einer parabelänlichen Kurve liegende Wassertropfen, wie man sie sonst in einem abgedunkelten Raum bei stroboskopischer Beleuchtung erhält. Ich erkläre mir das so, daß für sie jeweils die Bedingung für die Totalreflexion erfüllt ist, für die anderen, dazwischenliegenden jedoch nicht.
Noch einmal zurück zur Dispersion, und zwar wenn es regnet und gleichzeitig von der Seite her die Sonne scheint. Wir sehen einen Regenbogen, bisweilen auch zwei mit umgekehrter Farbreihenfolge. Die einfache, qualitative Erklärung, zumindest für den Hauptbogen, steht in vielen Physikbüchern, während die quantitative Theorie mathematisch recht aufwendig ist. Dabei gibt es sogar ein besonderes Regenbogenintegral!
Beim Frühstück kann es sein, daß mich in der Kaffeetasse eine Katakaustik (Brennlinie) erfreut, die viele gar nicht bemerken. Wie sie entsteht, kann man sich ebenfalls mit Papier und Bleistift klar machen, wenn dabei das Gesetz bei der (gewöhnlichen) Reflexion: "Ausfallswinkel gleich Einfallswinkel" beachtet wird, das auch beim Billard zur Geltung kommt. Der mathematischen Behandlung der Katakaustik mit einem schönen Bild von ihr widmet sich hier auf dem Matheplaneten shadowking.
Reflexion und Brechung sind nicht das einzige, das einem im Alltag beim Licht begegnen kann. Auch Beugungserscheinungen werden bei aufmerksamer Beobachtung sichtbar. Als ich noch in der Schule tätig war, stand ich in einem Klassenraum oft mit dem Rücken zur Sonne am Fenster, und wenn der Schatten meines Kopfes demjenigen des Fensterrahmens sehr nahe kam (beide waren auf dem Fußboden zu sehen), verformten sie sich und bewegten sich aufeinander zu. Im Kleinformat kann man Ähnliches in einem schmalen Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger beobachten.
Dabei treten helle und dunkle Streifen auf, die durch Interferenz entstehen, einer weiteren Erscheinung nicht nur beim Licht. Wer stand nicht schon einmal an einem Gewässer auf dem sich, etwa von Booten stammende, verschiedene Wellensysteme kreuzten und zu bizarren Mustern überlagerten? Und die bunten Schmetterlinge: über sie las ich, daß ein Teil ihrer Flügelfarben nicht durch Pigmente, sondern ebenfalls durch Interferenz zustandekommen ("Farben dünner Blättchen", auch beobachtbar, wenn ein Ölfleck sich auf einer Wasserpfütze ausbreitet). Und schließlich, im Rahmen dieser unvollständigen Übersicht: die Streuung von Licht an sehr vielen und kleinen Schwebeteilchen wie z. B. Luftmolekülen. Auf sie ist unter anderem die blaue Farbe des Himmels zurückzuführen (Theorie von Rayleigh und Jeans).
Wie große Raubvögel mit nahezu unbeweglichen Flügeln dahinsegeln - für mich immer wieder ein faszinierender Anblick -, ist mir im wesentlichen klar; doch wie sich die von Blume zu Blume flatternden Schmetterlinge durch die Luft fortbewegen, können wohl nur Spezialisten erklären. Diese fotografieren sie mit Hochgeschwindigkeitskameras und haben die beim Flug auftretenden Flügelbewegungen und -verdrehungen zu analysieren und zu interpretieren. Einfacher zu verstehen scheint dagegen das Verhalten der "Nasen" des Ahornbaumes oder des Samens der Linde zu sein, die bei ihrem Drehflug zur Erde wohl eine Art Verbindung von Fallschirm und Hubschrauber darstellen.
Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Mechanik, bei der die von Archimedes erfundene Schraube als aufgewickelte Schiefe Ebene angesehen werden kann, und wenden uns kurz einem akustischen Phänomen zu. Wer in der Nähe einer Kinik oder Polizeistation wohnt, erlebt, auch wenn er ihn nicht mit Namen zu benennen weiß, bei den vorbeiheulenden Kranken- und Einsatzwagen den Doppler-Effekt. Es gibt ihn auch beim Licht, und allein über ihn könnte man einen kleinen Artikel schreiben.
Es gäbe noch mehr von dem zu schildern, was einem Kenner diverser physikalischer Gesetze und Grunderscheinungen draußen und im Hause auffällt und zum Nachdenken anregt, doch möchte ich es abschließend mit einer bloßen Aufzählung bewenden lassen: die Oberflächenspannung, beobachtbar auf Teichen bei "Wasserläufer" genannten Insekten; die Kettenlinie, wie sie von den Hochspannungsleitungen und mit Rauhreif überzogenen Spinnweben gebildet wird; die Gefrierpunktserniedrigung beim Eis durch Druck, welche das Schlittschuhlaufen ermöglicht; das Leidenfrostsche Phänomen (länger anhaltender "Tanz" eines Wassertropfens auf einer glühenden Herdplatte); Resonanzerscheinungen der vielfältigsten Art; die Corioliskraft als Ursache der Drehbewegung von Hoch- und Tiefdruckgebieten; die Existenz unzählig vieler, quasi-freier Elektronen in Metallen, die, von Maschinen oder chemischen Stromquellen angetrieben, uns von großem Nutzen sind und ohne die unser modernes Leben nicht denkbar wäre ...
Eine Naturbeobachtung, über die bereits seit Jahrhunderten nachgedacht wird und die anscheinend immer noch nicht ganz geklärt ist, ist die unterschiedliche, scheinbare Größe des Vollmondes, wenn er dicht über dem Horizont und später weiter oben am Himmel steht. Hiermit hat sich unter anderem Leonhard Euler in seinen Briefen an eine deutsche Prinzessin beschäftigt. Sie umfassen große Teile des Wissens der damaligen Zeit, nicht nur auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet, und sind auch heute noch sehr gut lesbar. Im Internet findet sich einiges über sie, unter anderem hier der 102. bis 108. Brief über Logik. Er enthält zahlreiche Kreisdiagramme zur Veranschaulichung, die später zu Ehren Eulers und des britischen Logikers John Venn (1834-1923) "Euler-Venn-Diagramme" genannt wurden.
Hans-Jürgen
(18.8.04)
von cow_gone_mad
am Mi. 18. August 2004 22:09:34 http://www.unet.univie.ac.at/~a0302790
Wie schön, so viele Gedanken, die man sich selber auch schon gemacht hat,
endlich mal nieder geschrieben, und so schön aufgereiht. Aber so schöne
Phänome wie "Warum ist der Himmel blau?" und die Morgen- und
Abendröte worden noch gar nicht angesprochen. Alles hat so wunderschöne
physikalische Erklärungen.
Eins stimmt auf jeden Fall, jeder der mit den Augen der Physik durch die Welt
wandert, hat zum Teil echt mehr davon. Solang man die Schönheit der Gedanken
geniessen kann, und Zeit har sie durchzudenken.
von Spock
am Mi. 18. August 2004 22:24:20
Hans-Jürgen,
dankenswerter Weise gibt es Dich hier auf dem Matheplaneten.
Natur, Umwelt, Logik, wie wir Dinge "sehen", Dein Artikel,
insbesondere der Hinweis auf die Euler Briefe, liefern sehr viel zum
Nachdenken.
Dank von mir für die Erinnerung...
Juergen
von blaster
am Mi. 18. August 2004 22:24:53
Ich gebe cow_gone_mad da voll und ganz Recht und finde es um so schlimmer,
feststellen zu müssen, dass das Interesse und somit auch die Kenntnis von
solch elementaren physikalischen Phänomenen abnimmt.
Beispiel: Als ich in Urlaub im Süden war und der Mond aufgegangen war und
blutrot schien, wurde in einer Gruppe Jugendlicher, die in meiner Nähe stand,
darüber philosophiert, ob nun der Mars oder nochmal die Sonne aufgegangen
sei.
von Martin_Infinite
am Do. 19. August 2004 00:05:03 http://www.wolkenkratzerseite.de
Mich interessiert nur die Schönheit der Dinge an sich, nicht, wie und ob man
sie erklären kann. Als ob die Physik einen Sonnenuntergang schöner machen
könnte, oder gar alles erklären könnte. Wenn man einen solchen Drang danach
hat, da kann ich nur drüber lachen.
von blaster
am Do. 19. August 2004 01:24:28
Hi Martin,
genaugenommen ist das doch die Aufgabe der Physik. Die Physik will die Natur
beschreiben und erklären,z.b. einen Sonnenuntergang.
Dass die Natur dabei noch schön is - um so besser! (gut das beruht ja auch
letztendlich auf physikalischen Gesetzen, aber das lassen wir mal außen vor)
Von daher versteh ich nicht, warum du Interesse an soetwas für lächerlich
hältst.Es erwartet auch niemand, dass jeder alles mit Hilfe der Physik
erklären kann, aber ich finde,
dass eine gewisse Art von naturwissenschaftlicher Bildung bei jedem vorhanden
sein sollte, so wie jeder, der mal Abi gemacht hat, Goethes Faust gelesen hat
und damit
einen gewissen Grad an literarischer Bildung erreicht hat und danach nicht
behauptet, das Werk ist von Schiller.Ich gebe zu, der Vergleich ist ein
bisschen flach, aber mir ist spontan kein besserer eingefallen.
Schöne Grüße
Martin
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Hi, ich freue mich über das rege Echo, das mein Beitrag findet. Besonders dankbar bin ich für die Ausführungen und den Link zu den sich aufeinander zu bewegenden Schatten. Viele Grüße, Hans-Jürgen |