Zeitreisen

Zeit – was ist das überhaupt? Der Heilige Augustinus schrieb: "„Was also ist ‚Zeit‘? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“[1] Und in unserer Zeit – schon wieder dieses rätselhafte Wort! – weiß man es nicht viel besser. Bei Wikipedia ist dem Zeitbegriff eine ganze Seite gewidmet.[2] Darin werden Physiker, Philosophen, Dichter erwähnt; auch von Gott ist die Rede. Was die Zeit letztlich ist, bleibt unklar.

Eine Spezialität beim Umgang mit der Zeit sind Zeitreisen. Viele Schriftsteller, Film- und Fernsehautoren beschäftig(t)en sich damit. Unter schon etwas älteren Büchern mit diesem Thema waren die in [3] und [4] genannten berühmt. Bei beiden handelt es sich um Reisen in die Zukunft. Sie sind Phantasiegebilde, denn das, was kommen wird, ist uns verschlossen. Nur Gott kennt es.

Bei Zeitreisen in die Vergangenheit muss man zwischen Veranstaltungen und Büchern unterscheiden. Erstere wurden 2017 bei Google unter dem Suchbegriff "Zeitreisen im Lutherjahr" auf zahlreichen Webseiten angekündigt, z. B. hier. Von den Büchern gefällt mir besonders [5].

Auch beim Lesen in der Bibel, etwa über die Zeit Jesu, reist man gedanklich in die Vergangenheit. Letzten Sonntag predigte der Pastor über Johannes1,35-49. Dort wird erzählt, wie Jesus einzelne Menschen, die nur gerüchtweise von ihm gehört hatten und ihn fragen, wer er sei (und wo er wohne), auffordert, mit ihm zu gehen. Zwei tun das und schicken je einen Bruder oder Freund zu Jesus. Der Kern der sonntäglichen Predigt war, dass wir als Gläubige bei Verwandten, die den Weg zum Heiland noch nicht gefunden haben, sowie bei Nachbarn, Berufskollegen, Mitschülern usw. dasselbe versuchen sollen.

Die Zeitreise zu Johannes (in der genannten Bibelstelle) ist etwas durchaus Positives und Erfreuliches. Das ist nicht der Fall, wenn man in Gedanken in das weniger bekannte Szenario mit Ananias und Saphira reist.[6] Bei ihm geht es um Geld und um das von Petrus bewirkte, plötzliche Sterben zweier Mitglieder seiner urchristlichen Gemeinde. Wie hätte ich mich verhalten, wäre ich wirklich dabei gewesen? Hätte ich, wie die Übrigen, geschwiegen? Hätte ich nicht wenigstens einen Funken Mitleid verspürt, der jenen gefehlt zu haben scheint? -

Und nun bin ich noch auf einer anderen, wiederum erdachten Zeitreise am Ufer des Sees Genezareth. Jesus kommt vorbei und spricht einige Fischer an, die gerade ihre Netze waschen. Er verhilft ihnen durch ein Wunder zu einem überreichen Fang und fordert sie anschließend dazu auf, ihm zu folgen. Die Männer, beeindruckt von dem Erlebten, lassen alles stehen und liegen und gehorchen Jesus.[7] Sie gehen nicht vorher nach Hause, um ihren Frauen Bescheid zu sagen, denken anscheinend nicht an ihre Kinder. Hätte ich auch so gehandelt? Ist das nicht lieblos gegenüber den Familien und, modern ausgedrückt, verantwortungslos?

Bei manchen gedanklichen "Zeitreisen" in biblische Gefilde ergeben sich nicht leicht zu beantwortende Fragen. Sie können uns zur Selbstprüfung anstoßen und zu neuen Einsichten führen.

------------------
[1] Confessiones XI, 14
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Zeit
[3] Ein Rückblick aus dem Jahre 2000" von Edward Bellamy, erschienen 1888
[4] Die Zeitmaschine von H. G. Wells, 1895
[5] Ein Yankee an König Artus' Hof von Mark Twain, 1889
[6] https://www.bibleserver.com/text/LUT/Apostelgeschichte5, Verse 1-11. Weiteres dazu auf meiner Homepage hier.
[7] ausführlicher: https://www.bibleserver.com/text/LUT/Lukas5, Verse 1-11

Zurück zur Themenübersicht, Teil 2