Vegetarisch leben

In dem von mir schon mehrfach erwähnten Forum "Matheplanet", das ich öfter besuche, fand dieser Tage ein lebhafter Meinungsaustausch zum Thema "Mathematik und Weltprobleme" statt. Dabei ging es zunächst um das Wachstum der Menschheit, um die Nahrungsmittelproduktion und -verteilung, die Nutzung neuer Energiequellen, Ökologisches und abnehmende Ressourcen – alles Fakten und Tendenzen, die sich in Zahlen ausdrücken und modellmäßig untersuchen lassen. Gibt es für die bestehenden, meist drängenden Probleme Lösungsmöglichkeiten, und wenn ja, wie sehen sie aus?

Ziemlich schnell war man auch bei der Ernährung angelangt und hier speziell bei der Frage, ob es weiter angebracht ist, Tiere zu töten, um sie zu essen. Nicht nur deshalb, weil die Tieraufzucht unökonomisch und umweltschädlich ist (u. a. wegen viel zu hohen Wasserverbrauchs und wegen des Verdauungsgases Methan, das weit mehr zur Klimaerwärmung beiträgt als das vielgeschmähte und im Grunde nützliche CO2), sondern auch in moralischer Hinsicht. Sehr stark meldeten sich in der ausgedehnten Diskussion Vegetarier bzw. Veganer zu Wort. Sie verwiesen auf die unsägliche Massentierhaltung nicht nur bei Geflügel, auf die tierquälerischen Aufzugmethoden und Transporte zu den Schlachthöfen und behaupteten aus ihrer Sicht, dass der Mensch überhaupt kein Recht habe, lediglich zum eigenen Genuss Tiere zu töten. Vorgestellt wurden fleischlose Ernährungsmöglichkeiten, die vollkommen ausreichen, dass wir uns gesund und leistungsfähig erhalten.

Denjenigen, die auf das Essen von Fleisch verzichten und dafür warben, standen andere gegenüber, die – sinngemäß, nicht wörtlich – schrieben: "Ich esse gerne und gut und alles, was mir schmeckt; dazu gehört eben auch Fleisch." Oder: "Dass Tiere leiden, lässt sich wissenschaftlich nicht beweisen; also nützt man ihnen nicht durch den Verzicht auf das Fleischessen." Und: "Der Mensch ist als höchstentwickeltes 'Tier' an der Spitze der Nahrungskette und hat das Recht, alle unter ihm stehenden Lebewesen zu essen, wenn er Lust dazu hat."

Auch Religiöses kam mit ins Spiel, wenngleich das in dem genannten Forum nicht gern gesehen wird, weil dort Atheisten meinungsführend sind. Verwiesen wurde darauf, dass im Fernen Osten hunderte von Millionen Menschen aus Glaubensgründen kein Fleisch essen. Auch aus christlicher Sicht wurde einiges, allerdings eher verhalten, dazu gesagt, denn die Einstellung unseres Glaubens zum Töten von Tieren ist, milde ausgedrückt, zwiespältig.

Vieles dazu kann man im Internet auf speziellen Vegetarierseiten lesen. In einer steht, dass Jesus kein Fleisch aß. Dies lässt sich kaum belegen (und ich selbst habe nicht ausreichend danach geforscht); auf jeden Fall aß er mit seinen Jüngern Fisch, und diese waren Fischer. Unbestreitbar ist auch der Opferkult in der Welt des Alten Testaments, der dort seitenlang festgelegt wurde. Über die Jahrtausende kostete er Millionen von Tieren das Leben. Fleisch aßen, wenn nicht die Armen, so doch die Reichen, die Priester und Könige.

Nicht alle, die es gekonnt hätten, taten es. Die Bibel berichtet vom Propheten Daniel, der als junger Mann und Gefangener am Hofe des babylonischen Königs Nebukadnezar es ablehnte, Fleisch zu essen. Er verlangte für sich und seine Mitgefangenen Gemüse und bekam es. Es wirkte sich auf seine Gesundheit und seinen Geist günstiger aus, als wenn er Fleisch gegessen hätte. (Daniel1,1-16) Und ein anderer Prophet, Jesaja, wandte sich scharf gegen das Opfern von Tieren. (Jesaja1,10-12)

Generell aber wird gegen das Töten von Tieren zum eigenen Gebrauch oder für rituelle Zwecke in der Bibel nicht vorgegangen; viele Bewohner des Heiligen Landes waren Viehzüchter und, wie gesagt, Fischer. Mystisch überhöht wurde das seiner Mutter zu Ostern weggenommene und geschlachtete Jungschaf, und der Sündenbock gehört heute noch zu unserm Sprachschatz. Von ihm weiß kaum jemand, was für eine makabre Bedeutung er ursprünglich hatte. Der Apostel Paulus, der vom "Seufzen" "der ganzen Kreatur" schrieb (Römer 8,22), ohne dass dabei die Tiere extra erwähnt werden, war selber Fleischesser.

Auf die Römerstelle bezog sich eine Predigt von Margot Käßmann, in der die "geschundene Tierwelt" deutlich beim Namen genannt wird. Sehr viel ausführlicher widmete sich Albert Schweitzer dem Leid der vom Menschen aufgezogenen und getöteten Tiere in seinem auch online auszugsweise lesbaren Buch Ehrfurcht vor den Tieren. 1

Insgesamt jedoch leistet die Kirche keine Hilfe zur Verringerung des vom Menschen verursachten Tierleids. Speziell in der katholischen wird sogar bestritten, dass Tiere eine Seele haben und leidensfähig sind, vgl. z. B. hier, Abschnitt "In der Nachfolge Jesu?"

Dabei fällt mir etwas ein, das mir eine Tante nach einem Österreich-Urlaub erzählte. In einem Dorf beobachtete sie noch ein Stück weiter ab von ihr einen Mann mit einem Pferdewagen, der unablässig in kurzen Abständen mit der Peitsche auf sein Zugtier einschlug. Das blieb ohne Wirkung, denn das Pferd lief dadurch nicht schneller. Vielleicht war es an die dauernde Misshandlung gewöhnt oder hatte nicht mehr die Kraft, sich stärker anzustrengen. Als der Mann in der Nähe meiner Tante aus irgendeinem Grund anhielt, ging sie zu ihm hin, sprach ihn an und fragte, warum er das Pferd dauernd schlage. Er antwortete, offenbar verwundert über die Frage, etwas Unverständliches in seinem Dialekt und endete mit den Worten: " 's hot ja ka' Seel'."

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Über all' das bin ich verstimmt und traurig. Aus Mitleid mit den Tieren esse ich seit über dreißig Jahren kein Fleisch und keine Fleischprodukte mehr.2

Und warum schreibe ich das hier auf meiner "Glaubensseite"? Will ich auf Versäumnisse anderer hinweisen, auf sie mit dem Finger zeigen, sie anklagen? Andere Einzelpersonen oder ganze Organisationen, wie etwa die Kirche?

Nein, das will ich nicht. Doch was sonst?

Zum einen möchte ich auf erschreckende und verstörende Einzelheiten hinweisen, die ich auf Vegetarierseiten las und in der besagten Diskussion erfuhr.3 Die meisten Menschen, vermutlich auch die Leserinnen und Leser dieser Seite, wissen zu wenig oder gar nichts davon.

Zum andern spüre ich trotz allem Unglück, das mit dem massenhaften Töten von Tieren verbunden ist, eine gewisse Hoffnung und begründe sie so:

Die Bibel ist ein altes Buch. Unsere heutigen Probleme: Überbevölkerung, Zerstörung der Umwelt, permanenter Nahrungs- und Wassermangel in großen Teilen der Erde, kannte sie nicht. Dafür herrschten in damaliger Zeit und noch lange danach unhinterfragt Sklaverei, Deportationen und Völkermord, Kriege im angeblichen Auftrag Gottes. Hier hat sich in den Ländern, deren Kultur unter anderem auf dem jüdisch-christlichen Glauben beruht, manches zum Besseren geändert, öfter auch gegen den Willen der Kirche.

Es gibt keine Sklaverei mehr, jedenfalls in den genannten Ländern. Sie ist ebenso verboten und international geächtet wie der Völkermord und der Angriffskrieg. Die heutige Stellung der Frau ist bei uns nicht zu vergleichen mit derjenigen zu biblischen Zeiten und in nicht-christlichen Ländern. Erst wenige Jahrzehnte alt ist die sich immer mehr verbreitende Vorstellung, dass der Einzelne durch sein eigenes Energiespar-, Kauf- und sonstiges Verhalten zur Schonung der Natur und Umwelt beitragen kann. Ein weiterer Schritt wäre eine allgemeine Hinwendung zum Vegetarismus. Warum soll es ihn in absehbarer Zeit nicht geben? Schon jetzt essen, den Seiten der Vegetarier- und Veganerverbände zufolge, in unserem Land ca. acht Millionen Menschen kein Fleisch. Das wäre, wenn es stimmt, grob gesprochen, jeder zehnte.

Um diesen Wandel zu fördern, muss er stärker propagiert werden, und das könnte auch von Seiten der Kirche geschehen. Sie hat dazu, wie auch die Schule und das Fernsehen, durchaus Chancen; nur muss sie sie erkennen und nutzen. Zu meiner Überraschung erfuhr ich, dass Papst Franziskus ein "Heiliges Jahr der Barmherzigkeit" ausgerufen hat, das auch ein Echo in der evangelischen Kirche findet. Es geht sehr weit, vgl. hier, bezieht sich aber im Moment nur auf den Menschen. Nähme es auch das Tierleid in den Blick, und würde daraus eine merkliche Verringerung des unseligen Blutvergießens unschuldiger Lebewesen resultieren, wäre das ein großer Fortschritt unserer Kultur. Es wäre eine teilweise Abkehr vom allgemeinen Egoismus, der uns in anderen Lebensbereichen schon genug zu schaffen macht und letztlich ruinieren kann. – Widerstand kommt von profitorientierten Produzenten und mitleidlosen, uninformierten, auch getäuschten Konsumenten.

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1 "Solange der Mensch denkt, dass Tiere nicht fühlen können, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken können." Blaise Pascal (1623-1662), Mathematiker und Physiker, christlicher Philosoph.
Auf dem Matheplaneten hat ein Mitglied folgende Signatur: "Das Problem des Menschen ist nicht, dass er Fleisch von Tieren isst, sondern dass er für sein Wachstum KRIEG gegen alle anderen Lebensformen führt. Dieser Krieg nennt sich (Land)wirtschaft, seine ideologische Legitimation Kultur."
Zitate bedeutender Personen gegen das Essen von Fleisch
2 In der vielleicht irrigen Ansicht, meinen Eiweißbedarf nicht zu sehr zu vernachlässigen, esse ich gelegentlich Fisch. Und zwar nur Fische aus dem Meer, nicht aus Zuchtteichen, wo sie mit Brot oder anderen Getreideprodukten gefüttert werden, auch keine Karpfen. Begründung: die Fische, die ich esse, fressen andere, kleinere Fische. Deren Leben wird durch meine Auswahl teilweise geschont. "Meeresfrüchte" aller Art (Muscheln, Krebse, Krabben u. dgl.) esse ich nicht. Selten Ei, jedoch nur von "freilaufenden" Hühnern.
3 Nov. 2020: Coronavirus-Mutation bei Pelztieren – eine neue, tödliche Gefahr (vielleicht als Strafe Gottes wie die gegenwärtige Corona-Pandemie für zu sehr genussbetonte und sorglose Lebensweise?)

Noch mehr über das unnötige Töten und unmäßige Essen von Tieren: Bibel, 2.Chronik Kap.5 Vers 6 und hier über den Fleischverzehr in den USA, mit prahlendem Eingeständnis ("vier Pfund Fleisch" an einem Tag)

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