Über Musik im Gottesdienst

Als der langjährige, bewährte Organist unserer Gemeinde aus Altersgründen aufhörte, war es schwer, einen Nachfolger für ihn zu finden. Der neue, der dann schließlich kam, ist von Beruf Schlagzeuger und beherrschte anfangs das Instrument nur ungenügend. Wesentlicher aber war, dass er nicht das übliche liturgische Orgelspiel anstrebte, sondern eine Mischung aus ihm und eigenen Phantasien präsentierte. Öfters verrannte er sich dabei, und seine Orgelvor- und Nachspiele endeten in einem mittelmäßigen Chaos.

Während es bis zu seinem Erscheinen wie in vielen anderen Gemeinden üblich war, die altbekannten Kirchenlieder aus dem Gesangbuch mit einfacher, übersichtlicher Orgelbegleitung zu singen, kamen nun unter seiner musikalischen Leitung zunehmend moderne Lieder mit Gitarren- und Schlagzeugbegleitung zur Geltung, und die dafür verwendete Lautsprecheranlage wurde für mein Gefühl viel zu stark aufgedreht. Ein Teil der Gottesdienstbesucher begann, sich nach der Musik rhythmisch zu wiegen oder auf und ab zu zucken; andere stampften mit den Füßen oder klatschten dazu.

Mir selber gefiel diese Entwicklung ganz und gar nicht, und oft fühlte ich mich, wenn es zu laut wurde, wie betäubt. Es fiel mir schwer, auch wenn wieder ruhigere Phasen eintraten, mich auf den Gottesdienst zu konzentrieren; noch minutenlang dröhnte es in meinen Ohren, und ich war sehr unglücklich.

Zu Hause versuchte ich, dagegen anzukämpfen und notierte, wie es meine Gewohnheit ist, wenn mich etwas besonders bewegt, in Versen:

Manchmal denk' ich: du musst üben,
andere noch mehr zu lieben,
denn mir fehlt's an Toleranz.

"Fetzig" soll der "Godi" sein,
ach, wie fühl' ich mich allein
mitten im Anbetungstanz!1

Schunkeln, stampfen, hopsen, springen,
überlaut begleitet singen –
oder falsches Orgelspiel:
neulich war's mir fast zuviel!

Ich geh' hin, weil mich die Worte
unsres HERRN an diesem Orte
lehren und erbauen sollen,
und das tun sie, Ihm sei Dank;
nur der Lärm, der macht mich krank.
(Was wohl dort die andern wollen?)

Wie soll's weitergehen?, frag' ich,
wieviel Unruhe vertrag' ich,
die von selbst nicht schwächer wird?
Und: bin ich's nur, der sich irrt?

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1Anbetung - so komisch betonen manche das Wort Anbetung auf der zweiten Silbe.

Zu meiner Freude musste ich nicht lange warten. In unserer Gemeinde gibt es inzwischen, bis auf die Ferienzeit, zwei Gottesdienste: der erste wird der "konventionelle" genannt; der zweite ist der "moderne" mit der entsprechenden Musik.2

Auffällig ist der Unterschied in der Besucherzahl. Hat der erste Gottesdienst regelmäßig dreißig bis fünfzig Teilnehmer, sind es beim zweiten nicht selten weit über hundert, und unsere kleine Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt.

Warum es sich so verhält, kann man nicht mit Bestimmtheit sagen, doch vermute ich, dass es vor allem die Musik ist, die viele anzieht. Einige behaupten von sich, mit ihr könnten sie Gott ihre Anbetung besser zum Ausdruck bringen, als dies im konventionellen Gottesdienst möglich sei.

Ich halte das für eine Selbsttäuschung, wenn nicht gar für eine Ausrede. Unbestreitbar ist, dass der zweite Gottesdienst eine gewisse Ähnlichkeit mit der Atmosphäre einer Disko hat, und sie wird bei manchen das Eigentliche sein, das ihnen gefällt.

Glücklicherweise ist diese Ähnlichkeit bei uns nur gering. Anders war es bei einem "Techno-Gottesdienst" in Trier, über den hier berichtet wird: http://www.ps-trier.de/Techno/Pressesp.html. Dort standen "heiße" Musik in einer Lautstärke bis zur Schmerzgrenze und tranceähnliche Zustände bei den Teilnehmern im Vordergrund; der Disko-Charakter der Veranstaltung wird in den Berichten ausdrücklich hervorgehoben.

Da die Möglichkeit besteht, dass die betreffende Seite im Laufe der Zeit aus dem Internet verschwindet, wie es bei vielen anderen der Fall ist, zitiere ich ausführlich aus ihr:

"Die Kirche ist ganz dunkel. Vereinzelt sind Nebelschwaden zu sehen. Plötzlich ertönt eine dunkle, etwas verzerrte Stimme. 'Herzlich Willkommen zum ersten Trierer Techno-Gottesdienst', sagt sie. Und schon erklingen die Beats. Der Boden bebt.
...
Während die Musik aus den Lautsprechern dröhnt, werden auf einer Leinwand im Altarraum Gebete ein- und ausgeblendet. Noch traut sich keiner zu tanzen, nur vereinzelt sind mitnickende Köpfe und wippende Füße zu sehen.
Während die 140 Beats in der Minute das Herz schneller schlagen lassen, spielen sich in der Kirche stellenweise Szenen wahrer Brüderlichkeit ab: Es werden Papiertaschentücher geteilt und sich gegenseitig in die Ohren gestopft. Doch auch mit Ohrenstopfen ist die Musik von 'DJ Sonic Pope' noch atemberaubend. Der Siegener Discjockey orientiert sich an den Melodien bekannter Kirchenliedern wie 'Großer Gott wir loben dich' und überträgt sie auf Dance-Trance und Techno-Versionen.
Plötzlich scheint der Knoten geplatzt zu sein. Die ersten stehen auf und fangen an, im Mittelschiff der Jesuitenkirche zu tanzen. Schlagartig verwandelt sich die Kirche in eine Disco. Es wird hemmungslos herumgehüpft. Viele Tänzer sind völlig in die Musik eingetaucht und scheinen sich in Trance zu befinden. Der erste Trierer Techno-Gottesdienst lässt Menschen Gott auf eine ganz neue Art erleben. Auch der Altarraum, der anfangs tanzfreie Zone war, wird langsam aber sicher von jugendlichen Tänzern erobert.
...
Als der erste Trierer Techno-Gottesdienst zu Ende ist, fällt das Kommunizieren noch etwas schwer. Zum einen sind die Besucher noch völlig in Trance, und zum anderen fühlen sich die Ohren etwas taub an. Dennoch ist das Urteil der Gottesdienst-Besucher durchweg positiv. 'Die Klänge konnten sich in der Kirche sehr gut entfalten', lobt Jan Mohr, für den es der erste Techno-Gottesdienst war. 'Ich hatte etwas Angst um die Gotik, aber sonst war es echt geil', erzählt der 20-Jährige."
Kommentieren möchte ich das Ganze, insbesondere den letzten Ausspruch, weiter nicht.

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2In einem der modernen Gottesdienste, die während der Urlaubszeit nur gab, ging es wieder sehr laut zu. Extra eingeladen war eine Musikgruppe mit Anbetungs- und Lobpreisliedern, deren Texte man zwar lesen, aber wegen der alles übertönenden Instrumentalbegleitung kaum verstehen und mitsingen konnte. Wieder für mich allein, schrieb ich:

Gott hört sicherlich nicht schwer,
weshalb also hundertzehn
Dẹzibel - vielleicht auch mehr?
Wie soll Andacht da entstehn?

Viel kam nicht von unsren Lippen,
und ich sah nur Füße wippen.
Was den Leuten so gefällt,
zielt wohl mehr auf diese Welt.

Gott liebt auch die leisen Töne;
sinnlos scheint mir das Gedröhne.
Ungern denke ich zurück
an die Godi-Popmusik.


Anm.: Dezibel (db) ist die Einheit der Lautstärke. Als der Pastor sich bei der Gruppe bedankte, sagte ihr Sprecher, das nächste Mal würde sie noch lauter spielen. Unter Beifall wurde dabei von 120 db geschwärmt. Hier liegt die Schmerzgrenze des menschlichen Ohres. - "Godi": mir nicht sympathische Abkürzung für "Gottesdienst".

Überlaute, stark rhythmisierte Musik dient außerhalb der Kirche rein dem Vergnügen derjenigen, die sie schätzen. Sie ist ein sinnliches Aufputschmittel. Im Gottesdienst verabreicht, lenkt es von dessen geistlichem Gehalt ab, auf den man sich nicht mehr ausreichend konzentrieren kann.
Die letzte Verszeile der mittleren Strophe enthält eine Anspielung auf Joh. 8,23; 14,30; 18,36, Jak.4,4 und andere Bibelstellen.

Nachtrag, Jahre später: inzwischen wurde es in den Gottesdiensten, an denen ich teilnehme, ruhiger.

Über den Sonntag Kantate

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