Über Martin Luther
(aus einem Vortrag für einen Bibel-Hauskreis, mit nachträglichen Links zum Internet)

Vor gut drei Wochen feierten wir im Gottesdienst den Reformationstag, und so liegt es nahe, heute einiges aus dem Leben und über die Bedeutung Martin Luthers zu berichten.

Martin Luther wurde am 10. November 1483 als zweiter Sohn eines Bergmanns im thüringischen Eisleben geboren. Seine Vorfahren waren Bauern, und er war stolz darauf. Ein Jahr später, 1484, zog die Familie nach Mansfeld am Ostrand des Harzes um, einer Stadt, die früher für ihren Kupfererzbau berühmt war. Dort pachtete der Vater Martin Luthers ein Hüttenwerk und kam so zu einem gewissen Wohlstand. Dadurch konnte Martin gute Schulen besuchen und absolvieren. Nach der Grundschule in Mansfeld besuchte er 1497 das Gymnasium in Magdeburg. Magdeburg liegt ungefähr 80 km nördlich von Mansfeld, was damals eine nicht leicht zu überwindende Entfernung war, d. h. der Junge musste von zu Hause fort, und dies war auch der Fall, als er 1498 in die Domschule St. Georg in Eisenach eintrat, das nun wieder ein ganzes Stück weiter südlich vom Wohnort seiner Eltern lag.

In Eisenach erwarb Martin Luther innerhalb von nur drei Jahren ausgezeichnete Lateinkenntnisse. Das sagt sich so leichthin - in Wirklichkeit steckt sehr viel Arbeit und Anstrengung dahinter. Es wird berichtet, dass die Schüler der Domschule dazu angehalten waren - und dies wurde streng kontrolliert -, auch im privaten Umgang miteinander nur lateinisch zu sprechen; mag sein, dass Martin Luther wie seine Mitschüler diese Sprache dadurch umso schneller lernte.

Nach Eisenach studierte Martin Luther an der Universität Erfurt zunächst artes liberales, d. h. Freie Künste, wozu außer Grammatik, Astronomie, Mathematik und Redekunst auch die Musik gehörte. Dieses Studium schloss er mit dem Magistergrad ab. Danach schrieb er sich an der juristischen Fakultät ein. Dort studierte er aber nur zwei Monate lang, denn bei einem schweren Gewitter mit Blitzeinschlag legte er das Gelübde ab, Mönch zu werden.

1505 trat er in das Erfurter Augustiner-Eremitenkloster ein, in dem besonderer Wert auf asketische, d. h. enthaltsame Lebensführung und das Bibelstudium gelegt wurde. 1506 legte er das Mönchsgelübde ab, 1507 empfing er die Priesterweihe und begann, Theologie zu studieren. 1510 reiste er in Ordensangelegenheiten nach Rom. 1512 legte er seine Doktorarbeit in Theologie vor und wurde 1513 Professor für Bibelauslegung in Wittenberg. Dieser Ort schmückt sich noch heute mit dem Namen ''Lutherstadt''.

Seine exegetischen, d. h. die Bibel auslegenden Arbeiten und sein starkes religiöses Empfinden führten zum sogenannten ''Turmerlebnis'' (benannt nach einem Turmzimmer, in dem sich Luther damals in Wittenberg häufig aufhielt). Dieses Schlüsselerlebnis führte ihn zu der Erkenntnis, dass der Mensch nicht aus eigener Kraft und durch seine guten Werke gerecht werden kann, sondern nur durch die Gnade Gottes.Dies stellte eine erste Abweichung Luthers von der damals gültigen kirchlichen Lehre dar.

Am 31. Oktober 1517 publizierte Luther seine berühmten 95 Thesen gegen die Bußpraxis der Kirche und speziell den berüchtigten, im Volk verhassten Ablasshandel. Dass er diese Thesen an die Wittenberger Schlosskirche genagelt habe, wie es jahrhundertelang überliefert wurde, scheint eine Legende zu sein. Augenzeugen für dieses angebliche Ereignis gibt es nicht. Auch in Wittenberg selbst wird das heute, wenn man Aufsichtspersonen in der Schlosskirche danach fragt, kaum mehr behauptet, obwohl man auf Ansichtskarten und Darstellungen für das breite Publikum immer noch etwas darüber findet und auch an einem der Portale der Kirche die 95 Thesen in Erz gegossen sind.

Manche Historiker nehmen an, daß Luther seine Thesen auf andere Weise der theologischen Fachwelt zur Diskussion stellte, wie es damals allgemein üblich war - brisant und aufsehenerregend waren sie trotzdem genug!
Seine Glaubensgrundsätze stießen, für Luther selbst überraschend, in ganz Deutschland auf großes Interesse und viel Zustimmung. 1518, also bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung der Thesen, lehnte es Luther bei Disputationen in Heidelberg und Augsburg ab, diese zu widerrufen. 1519 trat ihm in Leipzig der dortige führende Theologe Johannes Eck entgegen, einer seiner schärfsten und gefährlichsten Gegner. In öffentlichen Auseinandersetzungen mit ihm ging Luther einen wesentlichen Schritt weiter: Er bezeichnete das Papssttum als eine rein menschliche Institution.

Der genannte Eck bezichtigte daraufhin Luther der Ketzerei, was damals nicht nur den Ausschluss aus der Kirche zur Folge haben, sondern auch den Tod, z. B. durch Verbrennen, bedeuten konnte, und reiste nach Rom, um einen entsprechenden Prozess gegen Luther vorzubereiten. Er kam tatsächlich wieder mit einer sogenannten Bulle, durch die ihm der ''Bann'', d. h. der Auschluss aus der Kirche, angedroht wurde. Eine Kopie dieser ''Bannandrohungsbulle'' verbrannte Martin Luther daraufhin öffentlich in Wittenberg; die Stelle, an der dies geschah, wird heute den Touristen gezeigt. (Das Wort ''Bulle'' kommt vom Lateinischen bulla=Siegel und stellt ein zunächst verschlossenes Dokument mit wichtigen päpstlichen Anweisungen dar.) Den Martin Luther angedrohten Kirchenausschluss nennt man auch Exkommunikation.

Exkommuniziert wurde Luther wegen seiner kritischen Äußerungen und weil er sich nicht unterwerfen wollte, von der römischen Kurie im Jahre 1520. Für einen Mönch und Theologieprofessor war dies ein schwerer Schlag, der seine berufliche Existenz ernstlich bedrohte.

Luther wollte sich auch damit nicht abfinden und zog im Jahr darauf, 1521, nach Worms am Rhein, wo unter dem Vorsitz des Kaisers der Reichstag abgehalten wurde. Hier trug er seine Ansichten erneut vor und wurde daraufhin zum öffentlichen Widerruf aufgefordert. Auch hier lehnte er ab und berief sich dabei auf Gott und sein eigenes Gewissen. Überliefert und sehr bekannt geworden sind seine Schlußworte: ''Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir.''

Daraufhin verhängte der Reichstag über Luther die sogenannte Reichsacht: er wurde für vogelfrei erklärt. Was sich für uns so harmlos anhört - frei wie ein Vogel zu sein - bedeutete in Wirklichkeit, daß man ganz allgemein zum Verbrecher gestempelt wurde und nicht mehr zur Volksgemeinschaft gehörte. Ein Vogelfreier konnte von jedermann straflos totgeschlagen werden, und wer ihm half oder ihn bei sich aufnahm, verfiel derselben Verurteilung. Vogelfrei oder, wie es damals hieß, ein Geächteter zu sein, war also für den, den es betraf, ein sehr schweres Schicksal.

Dem Spruch des Wormser Reichstages gegen Luther schlossen sich jedoch nicht alle dort anwesenden Fürsten an. So lehnte es Luthers Landesherr, der Kurfürst von Sachsen, ab, gegen den ''abtrünnigen Mönch'' vorzugehen. Allein und zu Fuß auf dem Heimweg wurde Luther, so dass andere es bemerkten, von geheimnisvollen Bewaffneten überfallen und mit scheinbar unbekanntem Ziel verschleppt. In Wirklichkeit handelte es sich bei seinen Entführern um Beauftragte des sächsischen Kurfürsten, die ihn in Ritterkleidung steckten und auf die Wartburg bei Eisenach in Sicherheit brachten. Dort lebte er, lange Zeit unerkannt, als ''Junker Jörg''. Nur engste Vertraute wussten, wer er wirklich war.

Das Wormser Edikt, wie die Verurteilung Luthers durch den Reichstag auch genannt wird, blieb im übrigen auf die Dauer wirkungslos, da sich diejenigen Reichsstände, die sich inzwischen evangelisch nannten und der neuen Lehre Luthers anhingen, nicht an das Edikt hielten; der sächsische Kurfürst bildete nicht die einzige Ausnahme.

Auf der Wartburg begann Luther mit der Übersetzung der Bibel aus dem Griechischen, Hebräischen und Lateinischen ins Deutsche. Die beiden erstgenannten Sprachen beherrschte er ebenfalls. An der Bibelüberstzung arbeitete er, auch nachdem er die Wartburg verlassen konnte, weiter, insgesamt zwölf Jahre, bis kurz vor seinem Tod.

Um 1525 brachen in verschiedenen Teilen Deutschlands Bauernaufstände aus, die sich zum regelrechten Krieg ausweiteten. Die von den Adligen bis aufs Blut ausgesaugte und gepeinigte Landbevölkerung erhob sich gewaltsam gegen ihre Unterdrücker, wobei auch Unschuldige ums Leben kamen und manches schöne Schloß in Flammen aufging. Einer der Anführer der sog. ''Bauernhaufen'', die sich gebildet hatten, war der durch das Drama von Goethe berühmt gewordene Götz von Berlichigen, der ''Ritter mit der eisernen Hand''.

Die Adligen siegten im Bauernkrieg und nahmen mit grausamen Strafen und entsetzlichen Foltern an Männern, Frauen und Kindern furchtbare Rache. Luther stand nicht auf der Seite der Aufständischen. Er verurteilte und verfluchte die seiner Meinung nach ''räuberischen und mörderischen Bauernbanden'', obwohl eine der Quellen des Bauernkrieges die von Luther eingeleitete Reformation war. Dieses Abseitsstehen Luthers von den berechtigten und aus der Verzweiflung geborenenen Aktivitäten der Bauern wirft in den Augen mancher einen Schatten auf Martin Luther - nicht nur bei Katholiken, die naturgemäß keine Freunde von ihm sind, sondern auch bei denen, die Luther sonst wegen seines Mutes und seiner großen Leistungen auf verschiedenen Gebieten achten und bewundern.

Dazu gehört, wie schon erwähnt, die Bibelübersetzung. Vorher gab es im wesentlichen nur lateinische Ausgaben der Bibel, und der gemeine Mann, ja selbst der Gebildete, verstand nicht, was darin stand. So brachte Luther das Verständnis von Gottes Wort seinem ganzen Volk.

Und nicht nur das. Zur Zeit Luthers, d. h. vor rund fünfhundert Jahren, gab es keine einheitliche deutsche Sprache. Vielmehr war das Deutsche in zahlreiche Dialekte aufgespalten, so daß es oftmals zu Verständigungsschwierigkeiten kam. Luther verwendete - so erklären es heute die Experten - die sächsische Kanzleisprache, die, nach mehreren Wandlungen in diesem langen Zeitraum, zur heutigen, allgemeinverbindlichen deutschen Schriftsprache wurde.

Luther betätigte sich hierbei auch als Sprachschöpfer, d. h., er verwendete für seinen Bibeltext neue Wörter, die es vorher nicht gab. Auch sagte er von sich, er habe ''dem Volk aufs Maul geschaut''. Viele Sprachbilder und Redewendungen, von Luther erfunden, sind heute immer noch in Gebrauch, ohne daß man sich dessen bewußt ist, von wem und woher sie stammen. Ich nenne nur zwei: ''Sein Licht unter einen Scheffel stellen'' und ''Perlen vor die Säue werfen''.

Luther war auch der Verfasser des über Jahrhunderte weitverbreiteten Kleinen Katechismus. In ihm werden unter anderem die Zehn Gebote nach der immer wieder neu gestellten Frage: ''Was ist das?'' in einfachen Worten und Sätzen erklärt und erläutert, wobei diese Erläuterungen stets mit der Aufforderung beginnen: ''Wir sollen Gott fürchten und lieben...''

Ein gewisses Problem besteht darin, wie Luther mit den Zehn Geboten umging, wie er sie auslegte und ordnete. Im Alten Testament steht im 2. Buch Mose, Kapitel 19, bereits an dritter Stelle (von Gott an den Menschen gerichtet):

''Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des,
das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im
Wasser unter der Erde ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht....''


Dieser Teil der Bibel, den man kurz zusammenfassend als Bilderverbot bezeichnet hat, fehlt bei den zehn Geboten in der lutherischen Darstellung, vgl. hier. Um dennoch insgesamt auf die Anzahl Zehn zu kommen, hat Luther das letzte, bei Mose zusammenhängende Gebot aufgeteilt in zwei einzelne Gebote: ''Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Hauses'' (9. Gebot) und ''Laß dich nicht gelüsten deines nächsten Weibes, noch seines Knechtes noch seiner Magd...'' (10.Gebot), obwohl eine solche Trennung vom Sinn her eigentlich nicht nötig gewesen wäre.

Das Verbot, sich von Gott keine Bilder, gleich welcher Art, zu machen, gibt es auch in anderen, nichtchristlichen Religionen und wird dort streng eingehalten: von orthodoxen Juden wie von den Anhängern des Islam. Schon vor Luther und auch nach ihm kam es über das Bilderverbot in der christlichen Kirche immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen: die einen betrachteten die göttliche Aufforderung bei Mose nur in dem einschränkenden Sinne, daß man selbstgemachte Bilder nicht anbeten soll. Ihre Gegner, die sogenannten Bilderstürmer, nahmen den Anfang von Mose 2, Kapitel 19 als Ganzes und im vollen Wortlaut ernst. Sie waren der Ansicht, daß alles Bildliche aus den Kirchen entfernt werden müsse und handelten dementsprechend. Hierbei wurden zahllose, unschätzbare Kunstwerke religiösen Inhalts unwiederbringlich zerstört.

In der Bilderfrage gehörte Luther zu denjenigen, die der Heiligen Schrift an dieser Stelle nicht folgen wollten. So wurde er nicht nur zum Übersetzer, sondern auch zum Interpreten von Gottes Wort. Im Falle der Zehn Gebote entschied er, was dazu gehört, was gelernt und befolgt werden soll.

Ob dieses Vorgehen Luthers theologisch richtig oder falsch war, ist für den Laien nicht leicht zu beurteilen; ein Teil der Gelehrten streitet sich bis heute darüber. Fest steht nur: hätte Luther den Satz: ''Du sollst dir kein Bildnis machen...'' vollständig in seine Aufstellung der Zehn Gebote mit hineingenommen, wäre diese nicht nur sehr lang geworden; es gäbe vor allem in den evangelischen Kirchen keine bildlichen Darstellungen und Symbole. Insbesondere wäre auch das Kruzifix, das uns an die Leiden des Heilands erinnern soll, bei strenger Befolgung des Bilderverbots nicht zulässig. (Gänzlich ohne Bildschmuck und ohne Kreuz ist das Innere der französisch-reformierten Kirche in Potsdam.)

In etwas weitläufigerem Zusammenhang hiermit steht auch ein vielzitiertes Werk von Martin Luther. Es trägt den Titel: ''Von der Freiheit eines Christenmenschen'' und erschien bereits 1520, im Jahre seiner Exkommunizierung. Mit ihm gewann er, so heißt es in einer Luther-Biographie, ''den größten Teil des deutschen Volkes''. –

Am Anfang dieses Vortrags erwähnte ich, daß Luther in Erfurt auch Musik studierte. Er selber war hochmusikalisch und spielte (mindestens) ein Musikinstrument: die Laute. Wie wir außerdem wissen, hat er eine große Anzahl von Kirchenliedern komponiert und auch den Text dazu geschrieben, was sonst in der Geschichte der Kirchenmusik eher selten ist. Viele davon stehen in unserem Gesangbuch; dort ist er der am meisten vertretene Autor, gefolgt von Paul Gerhardt. –

Zum Schluß noch zwei biographische Anmerkungen:

1525 heiratete Luther, was angesichts des in der katholischen Kirche bis heute bestehenden Eheverbots für Geistliche eine weitere Herausforderung an die Mächtigen der Zeit war. Seine Frau, Katharina von Bora, war eine Nonne, die er aus ihrem Kloster herausholte, manche sagen: regelrecht entführte.

Luther starb 1546 in seiner Geburtsstadt Eisleben; er wurde dreiundsechzig Jahre alt. –

Luthers Bedeutung für das gesamte religiöse Leben in Europa, aber auch für andere Länder kann kaum überschätzt werden. Lutheraner gibt es in allen fünf Kontinenten, insgesamt rund siebzig Millionen.

Luther hatte auch indirekt Einfluß auf die Geschichte, vor allem unseres Landes: durch die von ihm in Gang gesetzte Reformation und dadurch bedingte Spaltung in katholische und lutherische Fürtentümer kam es zum Dreißigjährigen Krieg, der die zivilisatorische und geistige Entwicklung Deutschlands sehr aufhielt und zurückwarf. Martin Luther kann man dafür nicht verantwortlich machen, denn als der Krieg ausbrach, war er schon über siebzig Jahre tot.

Leider agitierte Luther nicht nur gegen die Bauern im Bauernkrieg, sondern mit hasserfüllten Worten auch gegen die Juden. In einer Kampfschrift aus dem Jahre 1542 mit dem Titel "Von den Juden und ihren Lügen" nannte er sie "Brunnenvergifter, rituelle Mörder, Wucherer, Parasiten der christlichen Gesellschaft" und schlimmer als der Teufel. Er verdammte sie zur Hölle und forderte, das ihre Synagogen zerstört, ihre Bücher verboten und sie selbst aus dem Land gejagt werden. Das wirft einen weiteren düsteren Schatten auf den Reformator. Vierhundert Jahre später beriefen sich die Nationalsozialisten bei ihren Verbrechen an den Juden auf ihn (beschrieben z. B. hier).

H.-J. C. 22.11.2000

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