Landnahme

Im Mittelpunkt der Predigt am vergangenen Sonntag über Josua3,5-11;17 stand sozusagen eine Reprise: die Israeliten begannen in einer feierlichen Prozession die "Landnahme" des Gebietes westlich des Jordans. Wie damals, als sie auf der Flucht vor der herannahenden ägyptischen Reitertruppe am Roten Meer Halt machen mussten, bis sich dieses wie durch ein Wunder an einer Stelle öffnete und sie es trockenen Fußes durchqueren konnten, so standen sie diesmal vor einem breiten Fluss, der gerade Hochwasser führte. Das Wasser hörte auf zu fließen und bildete eine Furt, die sie ungehindert bis zum andern Ufer durchquerten.

Doch gab es einen Unterschied: sie waren keine Flüchtlinge mehr, sondern schickten sich an, das vor ihnen liegende Land in Besitz zu nehmen. Andere, die dort bereits wohnten, mussten nun vor ihnen fliehen, denn was die Israeliten vorhatten, war die "Vertreibung", wie es an der Bibelstelle heißt, der "Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter". Dabei beschönigt das Wort "Vertreibung" den Vorgang; denn was nun folgte, war blutiger Kampf, war gnadenlose Ausrottung von Männern, Frauen und Kindern. Die Bibel, unter anderem im Buch Josua, ist voll von Berichten darüber.1)

Als Jesus von Gott in die Welt gesandt wurde, dachte und lehrte er ganz anders. Er forderte seine Zuhörer, die ihm in großer Anzahl folgten, auf, ihre Feinde nicht zu hassen, sondern zu lieben. Er war der "Friedefürst", wie einer seiner Beinamen lautete. Die Feinde waren zu der Zeit im Bewusstsein der Israeliten vor allem die Römer, die das Land besetzt hielten.

Jesu Appelle und sein damals von nur wenigen verstandener Opfertod blieben ohne Wirkung. Jahrzehnte bevor er zur Erde kam und ebenso danach, als er nach der Kreuzigung und Auferstehung wieder zum Vater zurückgekehrt war, gab es im Heiligen Land und seiner Nachbarschaft ständig Kriege, Herrscherwechsel (auch durch Vergiften und andere Mordtaten), Aufstände und ein politisches Durcheinander, von dem man sich als geschichtswissenschaftlicher Laie keine Vorstellung macht. Auf der Wikipedia-Seite [1] wird darüber ausführlich berichtet, wobei allein schon gleiche oder ähnliche Namen verschiedener Personen für Verwirrung sorgen.

Von ihr zitiere ich etwas über das Wüten des römischen Thronfolgers Titus2) in Jerusalem:

"Mit vier Legionen begann während des Pessachfestes im Frühling3) die Belagerung Jerusalems. Dort hatte sich fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Iudaeas versammelt, um das wichtigste jüdische Fest zu feiern, weshalb die Bevölkerung der Stadt für einige Tage auf das Zehnfache angestiegen war. Gleich zu Beginn der Belagerung soll Titus die aus der Stadt Fliehenden vor den Augen der Belagerten gemartert und gekreuzigt haben. Auf diese Weise sollen, wie Flavius Iosephus berichtet, jeden Tag 500 Juden hingerichtet worden sein. Nach der Erstürmung und Zerstörung der zweiten Ringmauer ließ Titus die ganze Stadt durch eine Mauer umschließen. Dadurch sollen innerhalb weniger Wochen über 600.000 Juden verhungert sein. Tacitus hingegen schätzte die Gesamtzahl der Belagerten auf 600.000 Menschen. Die innere Stadt und der Tempel hielten bis Anfang August der Belagerung stand. Nachdem Titus’ Soldaten den äußeren Hof des Tempels erreicht hatten, brannten sie das Bauwerk nieder und töteten alle, die sie noch antrafen. Angeblich starben bei der Belagerung etwa 1.100.000 Menschen, nur 97.000 sollen überlebt haben. Die Überlebenden wurden in die Sklaverei verkauft oder in Zirkusspielen umgebracht, ... "

Wie es anschließend mit den Juden weiter ging, steht auf derselben Seite und soll hier nicht weiter verfolgt werden. Generell nur noch folgendes: Völkermord wie damals in Kanaan gab es immer wieder: davor und auch in umgebenden Ländern, bis in unsere Zeit. Vor gut hundert Jahren waren es die Armenier, die von den Türken nahezu ausgelöscht wurden. Ein anderes Volk, die Ukrainer, wurde von den Sowjets zum großen Teil durch Blockade und das Stehlen aller Nahrungsmittel dem Hungertod preisgegeben. Und wir Deutschen unter der Führung einer verbrecherischen, atheistischen Regierung brachten Millionen späte Nachfahren derer um, von denen in Josua3 die Rede ist. Völkermord, international geächtet (und trotzdem regional immer wieder aufflackernd), ist kein Thema in den Gottesdiensten, jedenfalls nicht in Bezug auf biblisches Geschehen. Dabei stellt er eine schwere Verletzung des göttlichen Tötungsverbots dar. Von Seiten der Kirche gibt es keine negativen Kommentare dagegen, dass es angeblich Gott war, der den Israeliten die Ausrottung der kanaanäischen Ureinwohner befahl.

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[1] https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6misches_Pal%C3%A4stina
1) Viel später rühmte der Apostel Paulus hier in V. 19 Gott u. a. für die Vernichtung von "sieben Völkern".
2) Im Abschnitt Jüdischer Krieg
3) des Jahres 70 n. Chr.

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