Jesus und die Frauen

Zur Zeit Jesu galt in Israel das Patriarchat: der Mann bestimmte, und die Frau hatte zu gehorchen. Es gehörte sich nicht, dass sie ohne männliche Begleitung aus dem Haus ging, denn dann bestand die Gefahr, dass sie unterwegs von einem fremden Mann angesprochen wurde, und auch sie selbst durfte keinen fremden Mann ansprechen. Auch schickte es sich für einen Mann nicht, fremde Frauen anzusprechen.

Jesus erfuhr – im Gegensatz dazu – beides: er wurde von Frauen angesprochen, und er sprach selber welche an.

Er heilte sie und half ihnen, letzteres in einem Fall erst nach kurzem Zögern, s. u. (Mt15,21ff).

Frauen waren es, die unter dem Kreuz des sterbenden Jesus ausharrten und weinten (allerdings war von seinen Getreuen auch ein Mann dabei: sein Lieblingsjünger Johannes).

Frauen fanden am Auferstehungstag das leere Grab vor und informierten die männlichen Gefährten Jesu.

Frauen spielten, als Jesus lebte und wirkte, und auch noch einige Zeit nach seinem Tod eine bedeutende Rolle. Später schwächte sich das unter dem Einfluss der sich bildenden Kirche ab.

Jesus verhielt sich gegenüber Frauen vollkommen anders, als es üblich und durch die Sitte vorgeschrieben war. Er löste damit Erstaunen aus und machte sich Feinde.

Insgesamt lassen sich viele Frauen nennen, die mit Jesus in Berührung kamen. Ich zähle einige von ihnen auf und gehe dann zum Teil in die Einzelheiten:

Mindestens fünf verschiedene Frauen mit Vornamen Maria gab es: seine Mutter, dann Maria, die Frau von Jakobus dem Jüngeren (Mk15,40), Maria im Hause des Kleophas (Joh19,25) und Maria von Bethanien, die Schwester des Lazarus (Joh11,1ff.) Eine besondere Rolle in der damaligen, von Männern beherrschten Gesellschaft spielte Maria aus Magdala, weil sie wohlhabend und unabhängig war. Sie wird an verschiedenen Stellen der Bibel genannt z. B. bei Lk8,2 und Mk16,9 und war eine der treuesten Jüngerinnen Jesu. Sie unterstützte ihn und die übrigen Jünger finanziell und gehörte mit zu den Frauen unter dem Kreuz, als Jesus starb.1)

Ziemlich bekannt ist Marta von Bethanien (Lk10,38, Joh11,1ff., Lk10,38-42, Joh11,19, Mk14,3 und weitere), eine zweite Schwester des Lazarus, weniger dagegen Johanna, die Frau des Chusas (Lk8,3) und Salome von Galiläa (Mk15,40).

Von einigen Frauen wird ihr Name nicht genannt. Dazu gehören die an Blutfluss leidende Frau (Mk5,25-29), die wegen ihrer Krankheit verzweifelt und besonders mutig war (gemessen am damaligen Verhaltenskodex) und gläubig; weiter  die Schwiegermutter des Simon (Lk4,38), die Samariterin am Brunnen (Joh4,7ff) und eine Prostituierte im Hause Simon des Pharisäers (Lk7,37-38).

Jesus sprach zu seinen Jüngern und anderen Zuhörern oft in Gleichnissen. In einem, das mir besonders gefällt, kommt ebenfalls eine Frau vor (Mt15,21-28).

Sie war eine Kanaaniterin, d. h. eine Ausländerin, die sich an Jesus um Hilfe wandte. Juden war es nicht gestattet, Gemeinschaft mit Ausländern zu haben. Sie würden sich verunreinigen. In der damaligen Gesellschaftsordnung gehörte es sich nicht, wie ich schon sagte, dass ein Mann einfach so mit einer fremden Frau spricht. Und es gehörte sich noch viel weniger, dass eine Frau einen fremden Mann anspricht. Doch diese Frau tat das trotzdem.

Die Jünger verhielten sich traditionell: Sie schlugen Jesus vor, die Frau fortzuschicken. Bei einer anderen Gelegenheit taten sie Ähnliches. Als Frauen mit ihren Kindern zu Jesus wollten, versuchten die Jünger, sie davon abzuhalten. Jesus aber sagte: "Lasset die Kindlein zu mir kommen!" Er herzte und segnete sie. (Mk10,13-15)

Bei der in Mt15,21-28 geschilderten Begebenheit ist es anders. Ehe die Jünger es sich versehen, ist die Frau bei Jesus. Er braucht nicht zu sagen: "Lasst sie zu mir kommen!" Aber er hilft ihr auch nicht, sondern belehrt sie:  "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israels gekommen."

Der Frau ist das egal. Sie wirft sich vor Jesus nieder und wiederholt ganz einfach und direkt: "Herr, hilf mir."

Jesus gibt ebenfalls nicht nach, jedenfalls nicht sofort, und greift sogar zu einem sehr drastischen Vergleich, der die Frau und ihre Angehörigen eigentlich beleidigen muß: er verwendet den Ausdruck "Hunde", und das war die verächtliche Bezeichnung der Juden für die anderen Völker um sie herum.

Die Frau läßt sich davon nicht beeindrucken, ist nicht gekränkt und wendet sich nicht entrüstet ab, sondern geht auf diesen Vergleich schlagfertig ein, so dass sich Jesus schließlich erweichen läßt und ihren dringenden Wunsch erfüllt.

Diese Schlagfertigkeit der Frau ist es, die mich an dem Gleichnis so erfreut, und dass Jesus seine anfängliche, dogmatisch festgelegte Starrheit aufgibt. Er korrigiert sein Verhalten, bleibt nicht der irrtumsfreie Unwandelbare, verhält sich in dieser Situation wie ein mitfühlender Mensch. Und als Mensch kam er ja zu uns auf die Erde. Er konnte zum Beispiel zornig und traurig werden und hatte in einer bestimmten Situation sogar Angst, die er tapfer überwand. Und hätte er der Frau, die ihn so dringend bat, nicht geholfen – wäre das nicht ein Verstoß gegen sein eigenes Gebot der Nächstenliebe gewesen?

Nachwort:

Zu seiner Mutter war Jesus nicht so freundlich wie zu den anderen, fremden Frauen, sondern schroff und schon fast im Gegensatz zum Vierten Gebot. Das war bei der Hochzeit zu Kanaan. (Joh2,1-12; V.4: "Was geht's dich an, Frau, was ich tue?", Luther 1984) Was diese Schroffheit bedeutet, weiß ich nicht. (Hier kommt vielleicht für einem Moment noch einmal die Männerdominanz zum Durchbruch, wie sie damals typisch war.)

Und was Maria selbst betrifft, so haben die Katholiken und Orthodoxen ein weit innigeres Verhältnis zu ihr als wir Protestanten. Sie sehen sie – vielleicht nicht ganz biblisch –  als Mittlerin zwischen dem Menschen und Jesus an, wenden sich mit Bitten vertrauensvoll auch an sie, preisen und verherrlichen sie als "Mutter Gottes".

   http://www.theologie-heute.de/Jesus_und_die_Frauen.pdf

Eine andere, für den christlichen Glauben sehr bedeutsame Geschichte steht bei Johannes 4,1-42. In ihr wendet sich Jesus an eine Samaritanerin. Dazu gibt es hier einen langen informativen Artikel, in dem über das Wesen und die Geschichte der Samariter berichtet wird.

1) https://www.youtube.com/watch?v=EPFiYvvO37g – eine sehr schöne Online-Andacht aus der Berkenthiner Maria-Magdalenen-Kirche

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Über die Stellung der Frau in verschiedenen antiken Ländern des Mittelmeerraumes: https://www.futurechurch.org/jesus-und-frauen

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So, wie oben zusammengefasst, war es zur Zeit Jesu im Vorderen Orient und ist es teilweise noch heute. Wenig weiß man in den westlichen Ländern über die Situation von Frauen im fernen Indien. Dazu Auszüge aus der Druckschrift CIfI - Gebetstag 2017 für Frauen und Mädchen (CIfI = Christliche Initiative für Indien, mehr):

Kinderehen
"Das gesetzliche Mindestalter der Hochzeit liegt bei Mädchen bei 18 und bei Jungen bei 21 Jahren. Dennoch wurde ... festgestellt, dass in den Bundesstaaten ... über 50% der Frauen vor dem 18. Lebensjahr verheiratet werden. Die Gründe für die frühe Verheiratung von Mädchen sind im Wesentlichen in Tradition und Armut zu finden. Töchter werden als finanzielle Belastung angesehen. Sobald sie verheiratet sind, ziehen sie zur Familie des Mannes und werden dort 'versorgt'. Außerdem muss die Familie des Mädchens an die Familie des Mannes eine sogenannte Mitgift zahlen ..." In dem Gebetsbrief wird das Schicksal eines Mädchens beschrieben, das bereits mit neun Jahren verheiratet wurde.
Witwen
"Darf die verwitwete Frau in der Familie des Mannes bleiben, wird sie dort oft nur geduldet. ... Sie ist ungeliebt und unwillkommen, weil sie keinen weiteren Nutzen mehr bringt." (Gemeint ist die erhoffte Geburt männlicher Kinder.) "Nur widerwillig gibt man ihr Essen ... und [sie] wird zum Betteln geschickt. Sie muss ..., sie darf ..." bzw. darf nicht ... "Die Situation vieler Witwen [ist] so aussichtslos und menschenunwürdig, dass sie lieber auf der Straße leben oder gar durch Selbstmord ihrem Leben ein Ende setzen." ... "Während ungewollte Mädchen schon im Mutterleib getötet oder kurz nach der Geburt vergiftet, ertränkt, erstickt oder einfach bis zum Tod liegen gelassen werden, ist bei 'ausgedienten' Ehefrauen, Schwiegertöchtern oder auch Witwen meistens der als Küchenunfall getarnte Mord durch Verbrennen das Mittel der Wahl. Familienangehörige (oft auch die Ehemänner oder Schwiegermütter) übergießen die Frauen mit Kerosin und zünden sie an. ... Alle fünf Minuten verbrennt eine Frau in Indien! ... Ein getarnter Mord ermöglicht auch eine neue Heirat, die dem Ehemann und seiner Familie eine weitere Mitgift einbringt. ..."

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