1 Hört! Ich will ein Lied singen, ein Lied von meinem
besten Freund und seinem Weinberg: "Auf einem Hügel, sonnig und fruchtbar,
lag das Grundstück meines Freundes. Dort wollte er einen Weinberg anlegen. 2 Er grub den Boden um und räumte alle großen
Steine fort. Die beste Rebensorte pflanzte er hinein. Er baute einen Wachturm
mittendrin und meißelte einen Keltertrog aus dem Felsen. Wie freute er sich auf
die erste Ernte, auf saftige und süße Trauben! Doch die Trauben waren klein und
sauer! 3 Urteilt selbst, ihr Leute von
Jerusalem und Juda: 4 Habe ich für
meinen Weinberg nicht alles getan? Konnte ich nicht mit Recht eine reiche Ernte
erwarten? Warum brachte er nur kleine, saure Trauben? 5 Wisst
ihr, was ich jetzt mit meinem Weinberg mache? Zaun und Schutzmauer reiße ich
weg! Tiere sollen kommen und ihn kahl fressen, Ziegen und Schafe, sie sollen
ihn zertrampeln! 6 Nie mehr werde ich
die Reben beschneiden, nie mehr den harten Boden mit der Hacke lockern; Dornen
und Disteln sollen ungehindert wuchern. Ich verbiete den Wolken, ihm Regen zu
bringen. Soll der Weinberg doch vertrocknen!"
Drei weitere Gleichnisse im Neuen Testament, die auch den Weinberg zum Thema haben, stehen hier:
1 Mit der neuen Welt Gottes ist es wie mit einem
Weinbauern, der frühmorgens Arbeiter für seinen Weinberg anwarb. 2 Er einigte sich mit ihnen auf den üblichen
Tageslohn und ließ sie in seinem Weinberg arbeiten. 3 Ein
paar Stunden später ging er noch einmal über den Marktplatz und sah dort Leute
herumstehen, die arbeitslos waren. 4 Auch
diese schickte er in seinen Weinberg und versprach ihnen einen angemessenen
Lohn. 5 Zur Mittagszeit und gegen drei
Uhr nachmittags stellte er noch mehr Arbeiter ein. 6 Als
er um fünf Uhr in die Stadt kam, sah er wieder ein paar Leute untätig
herumstehen. Er fragte sie: 'Warum habt ihr heute nicht gearbeitet?' 7 'Uns wollte niemand haben', antworteten
sie. 'Geht doch und helft auch noch in meinem Weinberg mit!', forderte er sie
auf. 8 Am Abend beauftragte er seinen
Verwalter: 'Ruf die Leute zusammen, und zahl ihnen den Lohn aus! Fang beim
Letzten an, und hör beim Ersten auf!' 9 Zuerst
kamen also die zuletzt Eingestellten, und jeder von ihnen bekam den vollen
Tageslohn. 10 Jetzt meinten die anderen
Arbeiter, sie würden mehr bekommen. Aber sie erhielten alle nur den
vereinbarten Tageslohn. 11 Da
beschwerten sie sich beim Weinbauern: 12 'Diese
Leute haben nur eine Stunde gearbeitet, und du zahlst ihnen dasselbe wie uns.
Dabei haben wir uns den ganzen Tag in der brennenden Sonne abgerackert!' 13 'Mein Freund', entgegnete der Weinbauer
einem von ihnen, 'dir geschieht doch kein Unrecht! Haben wir uns nicht auf
diesen Betrag geeinigt? 14 Nimm dein
Geld und geh! Ich will den anderen genauso viel zahlen wie dir. 15 Schließlich darf ich doch wohl mit meinem
Geld machen, was ich will! Oder ärgerst du dich, weil ich großzügig bin?' 16 Ebenso werden die Letzten einmal die
Ersten sein, und die Ersten die Letzten.1
Auf den ersten Blick kann man den Unwillen derer, die den ganzen Tag geschuftet hatten, verstehen; doch ist er berechtigt? Bei genauerem Hinsehen stellt man fest: nein, denn zum einen bekamen sie den vorher verabredeten Lohn und wurden dadurch, dass die anderen dasselbe erhielten wie sie, nicht geschädigt.
Gleichnisse sind bildhafte, märchenähnliche, meist kurze Geschichten, die auf bestimmte menschliche Verhaltensweisen aufmerksam machen, ohne sie direkt beim Namen zu nennen. Nicht selten sind sie kunstvoll strukturiert mit Steigerung und Pointe. Sie besitzen eine "Moral", vermitteln neue Einsichten und fordern, wenn sie in der Bibel stehen, oft zur Umkehr auf. Manche Gleichnisse bestehen nur aus einem Satz oder wenigen Sätzen, verwenden für Geistliches ein sprachliches Bild aus dem Alltag.
Im Alten Testament gibt es neunundzwanzig Gleichnisse, und im Neuen sind es vierzig plus sieben Parabeln.[1][2]
Vielleicht ist die Bibel selbst ein großes Gleichnis.
Ein in ihr öfter wiederkehrendes Motiv ist der Weinberg. Dazu finden wir bei Jesaja im 5. Kapitel dieses Gleichnis:
7 Dies ist eure Geschichte, ihr Israeliten. Ihr seid der Weinberg, und euer Besitzer
ist der Herr, der allmächtige Gott. Ihr aus Israel und Juda, ihr seid die
Pflanzung, auf deren Erträge er sich freute. Er wollte von euch gute Taten
sehen, doch er sah nur Bluttaten; ihr habt nicht Recht gesprochen, sondern es
gebrochen!
8 Wehe denen, die sich ein Haus nach
dem anderen bauen und ein Grundstück nach dem anderen kaufen, bis keines mehr
übrig ist! Sie finden erst Ruhe, wenn das ganze Land ihnen gehört. 9 Ich habe die Worte des Herrn, des
allmächtigen Gottes, noch im Ohr. Er schwor: "Die großen und schönen Häuser
werden verwüstet daliegen, und niemand wird mehr darin wohnen. 10 Ein Weinberg von über zwei Hektar bringt
dann nur ein kleines Fass Wein ein, und von drei Zentnern Saatgut wird man
höchstens ein Säckchen Getreide ernten. 11 Wehe
denen, die schon früh am Morgen losziehen, um sich zu betrinken. Bis spät in
die Nacht bleiben sie sitzen und lassen sich mit Wein voll laufen. 12 Gitarren und Harfen, Pauken und Flöten und
natürlich der Wein fehlen bei ihren Gelagen nie! Doch für mich, den Herrn,
haben sie keinen Gedanken übrig; was ich in der Welt tue, nehmen sie nicht
wahr. 13 Weil sie das nicht einsehen
wollen, wird mein Volk in die Verbannung verschleppt werden. . . .
Bei Matthäus Kap. 21, V. 28-32 ("Ein Mann hatte zwei
Söhne…"), dessen Auslegung nicht ganz einfach ist, weshalb ich hier darauf
verzichte, und bei Matthäus Kap. 21, V. 33-44, wo die Arbeiter des
Besitzers, die die Ernte einbringen sollen, der Reihe nach umgebracht werden.
Dieses Gleichnis läßt sich leichter deuten und verstehen, doch soll es hier
ebenfalls nicht weiter ausgeführt werden.
Am eindrucksvollsten ist für mich das Weinberg-Gleichnis
im 20. Kapitel des Matthäus-Evangeliums:
Zum anderen richtete sich der Weinbauer zwar nicht nach dem Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit"; dafür aber überbot er ihn für die zuletzt Gekommenen, wie es in V. 15 heißt, großzügig.
Er wußte, dass der an alle ausgezahlte Lohn - in anderen als der hier wiedergegebenen Bibelübersetzung von "Hoffnung für alle" wird er "Denar" genannt - gerade den Tagesbedarf einer Familie deckte. Hätten diejenigen, die fast den ganzen Tag vergeblich auf Arbeit warteten und erst in der letzten Stunde eingestellt wurden, nur einen entsprechend kleinen Teil eines Denars bekommen, hätten sie abends kaum zu essen gehabt und wären praktisch leer ausgegangen. Das vermied der aufmerksame, menschenfreundliche Weinbauer, von dem nach der Überlieferung des Evangelisten Jesus erzählte.
(Jesus selbst handelte bei einer anderen Gelegenheit ebenfalls nicht schematisch-formal nach bestehender Gewohnheit, und zwar im Falle einer zum Tod durch Steinigung verurteilten Ehebrecherin. Weil er hoffte, sie werde in Zukunft ihren Lebenswandel ändern, setzte er sich über die auf Mose zurückgehende Strafbestimmung hinweg. Mit dem berühmt gewordenen Wort: "Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein" bewirkte er, dass die Umstehenden, zum Töten bereit, darauf verzichteten und sich, einer nach dem anderen, still entfernten, ohne der Frau ein Leid anzutun.)
In einigen Bibelübersetzungen des Weinberg-Gleichnisses bei Matthäus heißt es in V. 15 statt "Oder ärgerst du dich, ... ?" noch etwas deutlicher: "Oder bist du neidisch ... ?"
Nach kirchlicher Auffassung ist Neid nicht nur eine schwere Sünde, sondern er wirkt sich auch auf den, der ihn empfindet, ungünstig aus. Neid ist sinnlos. Er führt nicht zu einer Änderung bestehender, unerfreulicher Verhältnisse. Neid erzeugt innere Unzufriedenheit und Ärger, untergräbt, wenn er länger andauert, die Gesundheit. Nicht umsonst sagt man, jemand werde von ihm "zerfressen". Wohl dem, der nicht neidisch ist!
Vers 16 legt nahe, wofür dieses Gleichnis steht: bei ihm bedeutet der Weinberg, im Gegensatz zu dem vorher zitierten, nicht eine Volksmenge, sondern das Reich Gottes. Auch hier ist er der Weinbergbesitzer; die Arbeiter sind diejenigen, die an ihn glauben. Gott sieht nicht auf Leistung ("gute Werke"), misst die Menschen nicht danach. Wenn die "Letzten", d. h. die erst spät zum Glauben Gekommenen, als erste in Gottes himmlisches Reich aufgenommen werden, so erleiden diejenigen, die schon länger an ihn glauben und ihm dienen, dadurch keinen Nachteil. Sie werden ebenso "Gott schauen" und bei ihm sein; in welcher zeitlichen Reihenfolge, ist dabei, angesichts der Ewigkeit, nicht von Bedeutung.
[1] http://92366.homepagemodules.de/t499f26-Gleichnisse-im-Alten-Testament.html
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Gleichnisse_Jesu
Ergänzung: Eines meiner Lieblingsgleichnisse Jesu steht bei Matth. 15, 21-28 vom unerschütterlichen Glauben einer nichtjüdischen Frau. Näheres s. dort.
Zurück zur Themenübersicht