Der Glaube – eine aufsteigende Linie

Vorbemerkung: Der Begriff "Theologie" bedeutet, ins Deutsche übersetzt, "Wissenschaft von Gott" oder kürzer: "Gotteswissenschaft". Was ist damit gemeint? Zum einen sind es die Eigenschaften Gottes, Sein Wesen, mit denen sich die Theologen beschäftigen und worüber sie nachsinnen. Sie tun es aber nicht für sich allein und isoliert, sondern teilen ihre Gedanken anderen Menschen mit. Deshalb gehört zum andern zur Theologie auch das, was über Gott seit Jahrtausenden verkündet und von den Zuhörern geglaubt wird. Gottesbilder, die dabei entstanden, Formen, Riten und Gebräuche, die sich auf den Glauben beziehen, nennt man zusammenfassend Religion. Religiöses Denken und Empfinden sind uralt; sie gehören zum Menschen wie das Sprechen. Oftmals spielen dabei nicht nur ein Gott, sondern mehrere Götter eine Rolle; in einigen Religionen sind es sogar sehr viele, deren Anzahl in die Millionen gehen kann.

Selber bin ich kein Theologe, doch habe ich den Eindruck, dass sich religiöser Glaube, unabhängig von bestehenden Unterschieden, im Laufe zahlloser Generationen insgesamt nicht nur weiter-, sondern auch höherentwickelt hat. Darum geht es mir im folgenden.

Es begann in "grauer Vorzeit" damit, dass sich die Menschen bewusst wurden, dass über ihnen Mächte walten, die sie selber nicht beherrschen können. Ihr Leben war vielfach von Furcht bestimmt. Sie wandten sich an die Wolken, die Blitz und Donner hervorbrachten und ihre Hütten in Brand stecken konnten; sie beteten zu ihnen, allein für sich oder in Gemeinschaft, oft mit speziell dafür ausgebildeten Beschwörern, Medizinmännern und Schamanen, die ihnen Schutz und Hilfe versprachen, gleichzeitig aber auch unbedingten Respekt und Gehorsam verlangten. Wenn es lange nicht geregnet hatte, erflehten die dem Hungertode Nahen von "oben" das fehlende, lebensspendende Nass. Sie beteten um gute Ernten und um Glück bei der Jagd.

Die Menschen wollten nicht sterben, jedenfalls nicht für immer, sondern in verwandelter Form (oder in einer "besseren Welt") weiterleben; so gaben sie ihren Verstorbenen Geschenke mit auf die Reise ins Totenreich, das sie sich, je nach Kulturkreis, verschieden vorstellten. Auch entstand im Zusammenhang damit der Gedanke an die Seelenwanderung.

Im Laufe der Entwicklung personalisierten Gläubige den Blitz und Donner, den Regen, das Feuer, den Tod, indem sie an Donner-, Regen- und Todesgötter glaubten, an den Gott des Feuers und den Meeresgott. Es gab Fruchtbarkeits-, Schicksals-, Rache- und Siegesgötter sowie -göttinnen, an die in verschiedenen Gegenden der Erde bis heute geglaubt wird.

Um die Götter gnädig zu stimmen, opferten die Menschen ihnen einen Teil dessen, was ihnen selbst zum Leben wichtig und nötig war, was ihnen wertvoll erschien: Ackerfrüchte oder Tiere aus ihren Herden. Die damit verbundenen Opferkulte erstarrten im Laufe der Zeit zu formalen Ritualen, und oft kam es vor, dass man nicht nur Eigenes opferte, sondern auch Fremdes, zum Beispiel das Leben gefangengenommener Feinde.

Die Menschen formten sich aus Lehm, Holz oder Stein, manchmal auch aus kostbarem Metall Götterfiguren, die sie anbeteten, und sie machten sich auch in Gedanken Bilder von den Göttern: wie diese sich zu den Menschen und untereinander verhielten. Sie schrieben den Göttern menschliche Eigenschaften zu: dass sie reden und riechen können (den Rauch der Brandopfer), dass sie zornig werden oder eifersüchtig sein können, ebenso aber auch milde und großzügig. Die Götter hatten außer den übernatürlichen Kräften, die sie kennzeichneten, zum Teil dieselben Schwächen wie diejenigen, die an sie glaubten. So gab es bei den Griechen einen "Götterhimmel", dessen Bewohner nicht davor zurückschreckten, sich gegenseitig zu belügen und betrügen. Ihr oberster Gott galt als ein regelrechter Weiberheld, der auch Menschenfrauen nachstellte.

Anders war es bei den Juden. Sie glaubten an einen einzigen, unsichtbaren Gott, und dieser Glaube hat sich bei ihnen, im Christentum und Islam bis heute erhalten. Die Juden empfanden große Scheu vor ihm und getrauten sich nicht einmal, seinen Namen auszusprechen. Man verwendete dafür die Abkürzung JHWH, die bei den Christen zu Jehova wurde; meistens sagen diese, weniger ängstlich, Gott zu ihm.

JHWH ist ein strenger Gott. Er verlangt Gehorsam und verspricht dafür Segen und Hilfe, auch bei den Kämpfen der Juden mit ihren Nachbarn, bei denen er es ist, der den Sieg schenkt oder verweigert.

Nach den Glaubensvorstellung der Juden erwartet Gott die Liebe der Menschen - und gibt sie ihnen unverdient und in reichem Maße zurück.

In der Anfangszeit, als die Juden anfingen, an JHWH zu glauben, schrieben sie in ihr Heiliges Buch die Geschichte eines Mannes, der von Gott dazu aufgefordert wurde, sein eigenes Kind zu opfern. Als der Vater bereit war, dem Befehl zu gehorchen, verhinderte JHWH in letzter Sekunde die Ausführung dieses Menschenopfers, und hinterher gab es bei ihnen keine solchen mehr. Das war, im Gegensatz zu Völkern um sie herum, ein großer Fortschritt.

Trotzdem verhängte Gott nach dem jüdischen Glauben auch Kollektivstrafen, die wir heutzutage ablehnen; die bekannteste ist die Ausrottung fast der gesamten Menschheit durch die Sintflut. Einige Zeit danach, als sich die Überlebenden wieder beträchtlich vermehrt hatten, wurde geglaubt, dass Gott die massenhafte Ausrottung von Männern, Frauen und Kindern nicht nur zuließ, sondern sogar befahl, wenn sie fremden Göttern anhingen. Auch das, welches wir Heutigen als Völkermord bezeichnen und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen, legte sich im Laufe der Zeit .

Mit dem Tode bestraft wurden von Gott jetzt nur noch gelegentlich kleinere Gruppen oder Einzelpersonen; manchmal ließ er sie auch am Leben, wenn sie ihren Ungehorsam, ihr Fehlverhalten bereuten und sich Ihm erneut in Liebe und Demut zuwandten.

Dann kam unter den Juden - was man oft vergisst - ein Mensch zur Welt, der als Erwachsener Gott direkt als Vater ansprach und der von den Christen als Gottes Sohn angesehen und verehrt wird: Jesus. Er forderte zur Nächstenliebe auf und bewies sie gegenüber vielen Kranken, Leidenden und Ausgestoßenen. Ja, er ging so weit, auch die Feindesliebe zu fordern, während es in der älteren jüdischen Religion hieß, dass die Feinde erbarmungslos zu vernichten seien.

Die Forderung, Feindschaft durch Wohlwollen und Güte zu überwinden, war ein ganz großer Schritt "aufwärts". Auch opferte sich der Gottessohn Jesus freiwillig, damit Gott den Menschen ihre Sünden vergibt: das war damals neu und unerhört, denn vorher hatte es zu diesem Zweck nur Tieropfer gegeben. Diese nahmen im weiteren Verlauf mehr und mehr ab und sind heute nicht mehr üblich, jedenfalls nicht bei Juden und Christen - auch das ist in meinen Augen ein Glaubensfortschritt.

Jesu Liebe zu den Menschen und seine Bescheidenheit wurden später im Christentum über längere Zeiträume durch geistige wie materielle Versklavung, durch Einschüchterung und schreckliche Justizmorde schmählich verraten, auch durch Hoffart und weit übertriebenen Luxus hoher "christlicher" "Würdenträger". Erst in den letzten Jahrzehnten fand eine Rückbesinnung statt, verbunden mit Scham und Reue über früher geschehenes Unrecht sowie dem Vorsatz, dass sich Derartiges nie mehr wiederholen darf.

Ich bin dankbar dafür, dass ich diese Entwicklung noch miterleben durfte, und freue mich über die in der Überschrift genannte, insgesamt aufsteigende Glaubenslinie.

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