"Prüfet alles, und das Gute behaltet!" (1. Thess. 5,21)

Ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner Glaubens-Webseiten, so auch diese, enthält Apologetisches. Unter einer Apologie (von spätlat.: apologia, aus griech.: apológia) versteht man die Verteidigung oder Rechtfertigung einer Lehre oder Position, eine Verteidigungsrede oder -schrift. (Ein bekanntes Beispiel ist Platons Apologie, in der er die Verteidigung des Sokrates beschreibt.) In der katholischen Theologie ist die Apologetik das Gebiet, auf dem man sich mit der rationalen Begründung des Glaubens befasst.

Warum hat der Glaube es nötig, verteidigt zu werden?
Weil er nicht einfach und dadurch Mißverständnissen ausgesetzt ist. Weil er von Glaubensgegnern in Frage gestellt und angegriffen wird. Weil Gläubige von ihnen lächerlich gemacht, herabgesetzt, zum Teil sogar verfolgt werden.

Worauf stützen sich diese Gegner?

Sie haben mehrere Motive. Zum einen das "wissenschaftliche": sie bezweifeln, dass Gott die Welt, wie es die Bibel sagt, in sechs Tagen schuf, und dass dies, wie manche glauben, erst rund sechstausend Jahre her sei. Versteinerte Überreste längst ausgestorbener Tiere sprächen dagegen. Auch hätten in Noahs Arche bei weitem nicht alle Tierarten gepasst, die heute auf der Erde leben (und sicherlich auch schon vor ein paar tausend Jahren existierten). Die betreffenden Kritiker übersehen, dass die Bibel oftmals in Bildern spricht und dass sie kein naturwissenschaftliches Lehrbuch ist. Rational eingestellte Glaubenskritiker bezweifeln Wunder wie die übernatürliche Geburt Jesu, die Auferstehung der Toten, die Sündenvergebung und das Ewige Leben. Sie sind in meinen Augen nicht gut dran, denn die menschliche Vernunft, auf die sich sich gern berufen, ist begrenzt, und die wissenschaftliche Betrachtungsweise gibt, entgegen manchen Behauptungen, keine befriedigenden, abschließenden Antworten auf existentielle Fragen. Meist widmet sie sich ihnen erst gar nicht. Auch ist es so, dass diejenigen, die den Glauben an Gott radikal ablehnen, ganz auf das irdische Leben mit all' seinen Wirrnissen, Verflechtungen und Leiden fixiert sind - diesen versuchen sie nach Möglichkeit zu entkommen und beklagen ihr Schicksal, wenn es ihnen nicht gelingt. Sie haben keine Perspektive, keine Hoffnung auf Besseres und Schöneres, das erst nach dem Tode kommt.

Ein zweites Motiv der Glaubensgegner ist moralischer Natur. Sie weisen darauf hin, dass das Christentum, nachdem es unter Kaiser Konstantin (288-337) von der religiösen Einstellung einer verfolgten Minderheit zur Staatsreligion wurde, zu zahlreichen Fehlern und Entartungserscheinungen führte.1) Hierbei werden immer wieder - und zu recht - die Kreuzzüge, Ketzer- und Hexenverbrennungen sowie das unsittliche Leben vieler Päpste und geistlicher Würdenträger angeführt; auch andere Kritikpunkte gibt es reichlich. Dabei wird übersehen, dass diese Fehlentwicklungen und Entartungen auf menschlichen Schwächen beruhten (Machtlüsternheit, Prestigesucht, Geldgier, Grausamkeit, um nur einiges zu nennen), dass sie dem Geist Jesu und dem, was Er verkündigte, widersprachen, auch wenn dies offiziell nicht zugegeben und gegenüber denen, die daran Anstoß nahmen, vehement abgestritten wurde. Solche verurteilenswerten Abweichungen vom eigentlichen Glauben können diesem selbst nicht angelastet werden und folgen nicht notwendig aus ihm. Das Gegenteil ist der Fall: Gott und Jesus fordern die Gläubigen permanent dazu auf, von den genannten Fehlhaltungen ("Sünden"), zu denen noch weitere zu rechnen sind, abzulassen; sie bedrohen diejenigen, die das nicht wollen, mit schwerer Strafe. So trägt die christliche Lehre, wenn nach ihr gelebt und sie nicht verachtet wird, zur Versittlichung und zur Verbesserung menschlichen Zusammenlebens bei. Sie verdient deshalb Respekt und Anerkennung anstelle von leichtsinniger und überheblicher Ablehnung.

Das dritte Motiv der Kritiker am christlichen Glauben besteht darin, dass sie zu sehr auf scheinbaren oder offenkundigen Abweichungen, Irrtümern und Unstimmigkeiten in der Bibel herumreiten und diese deshalb als Ganzes ablehnen. Es gibt solche merkwürdigen Stellen; das bestreite ich nicht. Sie sind jedoch für mich nicht wesentlich, betreffen nicht den Kern dessen, was in der Heiligen Schrift verkündet und verheißen wird. So kann ich hier freimütig, ohne mir dadurch zu schaden, selber ein paar Beispiele nennen.

Sehr bekannt sind gewisse Divergenzen in den Evangelien bei der Ostergeschichte. Waren am leeren Grab ein oder zwei Engel; waren sie drinnen oder draußen? Seit langem sind Bibelausleger bemüht - oftmals mit Erfolg -, diese und weitere Unterschiede aus der historischen Quellenlage zu erklären. Man nennt das die "Harmonisierung der Evangelien", und es gibt unter diesem Stichwort eine Anzahl spannender Beiträge im Internet. Bei der Argumentation spielt eine wichtige Rolle, dass das Wirken Christi, seine Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt bereits mehrere Jahrzehnte zurücklagen, bevor Berichte über sie aufgeschrieben wurden. Bis dahin gab es hauptsächlich die mündliche Überlieferung; viele der ersten Christen in den weitverstreuten Gemeinden des damaligen Römischen Reiches konnten nicht lesen. Da war es leicht möglich, dass sich in Details Fehler einschlichen, während der eigentliche Inhalt, das Wesentliche erhalten blieb.

Manches ist tatsächlich zunächst verwirrend. So schreibt der Apostel Lukas am Ende seines Evangeliums über die Himmelfahrt Jesu in der Weise, dass man annehmen muss, sie habe zu Ostern, gleich nach seiner Auferstehung, stattgefunden. Andererseits liest man von demselben Autor in der Apostelgeschichte (Apg. 1,1-11), Jesus sei erst vierzig Tage später zu seinem Vater in den Himmel entrückt worden. Wie das erklärt werden kann und womit es noch alles zusammenhängt, erfährt man zum Beispiel in dieser Predigt.

Selber fielen mir (und natürlich nicht nur mir) zwei weitere Dinge auf, über die im allgemeinen weniger geredet wird. Wie starb Judas? Bei Matthäus (Mt 27,5) heißt es, er habe sich nach seinem Verrat an Jesus selbst aufgehängt, während in der Apostelgeschichte (Apg. 1,18) steht, dass er auf einem Acker, den er sich von den berüchtigten 30 Silberlingen gekauft hatte, durch einen Unfall auf schauerliche Weise ums Leben kam.2)

Nun gut, wird man sagen; hier waren zwei verschiedene Autoren am Aufschreiben der mündlichen Überlieferung beteiligt: eben Matthäus und Lukas. Jeder hatte etwas anderes gehört und im Gedächtnis behalten. Problematischer wirkt auf den ersten Blick die Schilderung des "Damaskus-Erlebnisses" des Paulus, zweimal von Lukas allein. In Apg. 9,7 lesen wir, dass, als Jesus zu Paulus sprach (der damals noch anders hieß): "Saul, Saul, warum verfolgst du mich?", Paulus' Begleiter zwar die Stimme hörten, aber nicht die helle Lichterscheinung bemerkten, die ihn tagelang blind machte. In Apg. 22,9 dagegen wird Paulus von Lukas mit einer Rede zitiert, in der er das Gegenteil sagte: "Meine Begleiter sahen genauso wie ich das Licht, aber sie hörten nicht, was gesagt wurde."

Was folgt daraus? Für mich gar nichts, jedenfalls nichts Besonderes. Lukas oder Paulus irrten sich; das ist alles. Sie waren Menschen wie wir. Uns selber ist es ja auch schon x-mal passiert. Und geschieht es nicht täglich, etwa bei der Schilderung ein und desselben Verkehrsunfalls vor Gericht durch verschiedene Personen? Der eine hat dies gesehen und könnte darauf schwören, der andere etwas ganz anderes.

Vor einiger Zeit bekam ich ein schönes, selbstgemaltes Aquarellbild geschenkt. Es enthält ein paar kleine Schwächen, die sich, anders als bei der Ölmalerei, nachträglich nicht beseitigen lassen. Das Bild gefällt mir trotzdem sehr, und so habe ich es gerahmt und an die Wand gehängt, um es jederzeit betrachten zu können. Die nicht ganz so gelungenen Stellen beachte ich einfach nicht. - Und als ehemaliger Mathematiklehrer durfte ich bei längeren schriftlichen Arbeiten nicht nur auf das Endergebnis sehen, sondern der Ansatz und der gesamte Lösungsweg mussten gewertet werden. Es wäre unsinnig und ungerecht gewesen, die Arbeit wegen eines kleinen Rechenfehlers als Ganzes zu verwerfen.

Warum erzähle ich das? Weil es mir mit der Bibel ähnlich geht. Sie ist ein großes, beglückendes Werk für denjenigen, der sich ihr in positiver Einstellung zuwendet. Manche Ungenauigkeiten fallen dabei nicht ins Gewicht. Ihre Autoren, göttlich inspiriert, gaben sich die größte Mühe, waren aber nicht perfekt - dies ist nur GOTT.

Trotzdem gibt es in der Heiligen Schrift auch Stellen, die ernster zu nehmen sind, wie zum Beispiel die Auffassungsunterschiede zwischen Paulus und Jakobus über das Verhältnis des Glaubens zu den Werken,[1][2]. Aber selbst diese Differenzen lassen sich bei geeigneter Interpretation zum Verschwinden bringen. Das geschieht zum Beispiel im Vorwort der Einheitsübersetzung der Bibel zum Jakobusbrief.

Nachtrag:
Ein evangelischer Pfarrer, mit dem ich per E-Mail korrespondierte, schrieb mir:
"Was in der Bibel steht und was in ihr von Jesus überliefert ist, dem vertraue ich völlig. Wenn ich es nicht tun würde, müsste ich anfangen zu unterscheiden, was darin vertrauenswürdig ist und was nicht. Damit würde ich mich zum Richter der Heiligen Schrift machen; das ist nicht angemessen. Außerdem gäbe es keine verlässlichen Maßstäbe, nach denen ich ein solches Urteil fällen könnte. Darum vertraue ich einfach darauf, dass Gott die Überlieferung der Heiligen Schriften so gelenkt und bewacht hat, dass wir bis heute Gottes verlässliches Wort in ihr finden."
Ich las es mit Respekt und Sympathie.

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1) Kirchenrat Dekan i. R. Werner Dettmar sagte hierzu in einer Predigt:
"... Als die Christen sich im Römischen Reich eingerichtet hatten und nicht mehr verfolgt wurden, da währte es nicht lang, dass sie mit den Wölfen heulten. Sie übten Gewalt und brachten andere Menschen für sich zum Opfer dar. Sie ließen sich Kronen aufsetzen, die mit den Kronen dieser Welt vergleichbar waren. Sogar eine dreifache Krone, die Tiara, prangte auf dem Kopf dessen, der sich Haupt der Christenheit nennen ließ. Es entstand eine Kirche, die ihre Gegner verbrannte, ihre jüdischen Brüder wie die Heiden verfolgte und Gewalt in das Heilige Land trug. Eine solche Kirche hat den Namen des Vaters im Himmel nicht geheiligt. ..."
www.predigtforum.de/Predigten/Predigtarchiv/Ein_lieblicher_Geruch.htm, 2. Teil von Abschnit IV; Predigttext:
Epheser 5, 1-8; Kirche / Ort: / Kassel; Datum: 14.03.2004; Kirchenjahr: Okuli (3. Sonntag der Passionszeit)
2) Unabhängig von dieser Divergenz in der biblischen Berichterstattung tat mir Judas, als ich das erste Mal von ihm las und hörte, auch ein wenig leid. Unser Pastor hatte nämlich gesagt, dass Judas so handeln musste, weil Gott es so wollte. Ich verstand das so, dass Judas von Gott zu seinem Verrat an Jesus quasi gezwungen wurde und gar nicht anders konnte. Das fand ich (und finde es immer noch) ungerecht. Ich dachte auch: Jesus war den jüdischen Priestern ja bekannt; sie wussten genau, wie er aussah - wozu dann der Judaskuss? (Auch hätten, damit Gottes Wille des Opfertodes und der Auferstehung Jesu erfüllt werde, die geistlichen Führer Jesus einfach verhaften können, und zwar am Tage, auf der Straße in Jerusalem oder im Tempel - nicht nachts im Garten von Gethsemaneh; doch taten sie es nicht. Warum?)
Inzwischen - Jahre später - habe ich festgestellt, dass es außerhalb traditioneller christlicher Lehre und Verkündigung Auffassungen über Judas gibt, von denen ein Teil zum Beispiel hier wiedergegeben wird. Bei ihnen erscheint der unglückliche, im allgemeinen Bewusstsein sehr negativ dastehende Judas in einem besseren Licht.

[1] Glaube und Rechtfertigung bei Jakobus
[2] Jakobus und Paulus

Fortsetzung: Wer war Barrabas?
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