Anmerkung zu "Glücklich sein über den Glauben"

Auf der genannten Seite befasse ich mich ausschließlich mit Parallelen zwischen den oft so genannten "exakten" Naturwissenschaften und der Religion, die darin bestehen, daß zu beiden vom Menschen stammende Annahmen gehören. Bei der Religion beziehen sie sich auf das Wesen und die Absichten Gottes, wobei im Grunde klar ist und auch gelegentlich zum Ausdruck gebracht wird1), dass wir niemals imstande sein werden, mehr als nur einen Hauch davon zu erkennen.2)

Aber auch eine andere Wissenschaft, die Mathematik, ist nicht frei von willkürlichen Annahmen. Bei ihr, die als Geisteswissenschaft fälschlicherweise oft in einem Atemzug mit den Naturwissenschaften genannt wird, heißen sie Axiome. Eine wesentliche, an diese zu stellende Forderung ist, dass sie in sich widerspruchsfrei sind. Bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts glaubte man, dass sich dies stets erreichen lässt. Zu jener Zeit bewies dagegen der österreichische Mathematiker Kurt Gödel, dass es nicht möglich ist, die Widerspruchsfreiheit eines Axiomensystems, etwa das der Arithmetik, allein mit Hilfe dieses Systems zu beweisen. Hieraus entwickelte sich eine tiefe Krise der Mathematik. Von ihr berührt fühlen sich allerdings bis heute hauptsächlich diejenigen, die sich für die philosophischen Grundlagen dieser Wissenschaft interessieren. Die weitaus überwiegende Mehrheit sowohl der Fachmathematiker wie der Amateure hält die Mathematik und ihre Ergebnisse weiterhin für etwas besonders Sicheres und Zuverlässiges nach dem Motto: "Was einmal mathematisch bewiesen wurde, gilt für immer."

Gödels Beweis führte zu der Einsicht, dass es in der Mathematik Behauptungen gibt, deren Richtigkeit sich weder beweisen noch widerlegen lässt und die deshalb als "unentscheidbar" bezeichnet werden. Daran hatte zuvor anscheinend niemand gedacht; vielmehr gab es die Auffassung eines anderen, seinerzeit berühmten Mathematikers, nach der alle mathematischen Probleme im Prinzip lösbar seien.3)

Diese Auffassung ließ sich nicht halten, und ganz allgemein zeigt es sich, dass auch in der strengen, nach Wahrheit strebenden Mathematik Grenzen bestehen, die nicht überschritten werden können. Damit ähnelt sie ebenfalls, wie es die Naturwissenschaften tun, der Religion, die die Grenzen (und Schwächen) des Menschen auf andere Weise erkennt und erlebt.

1) 1.Kor.13,9-12    2) Jes.55,8
3) "In der Mathematik gibt es kein ignorabimus!" (d. h. kein wir werden es nicht wissen), zitiert in:
     http://de.wikipedia.org/wiki/Hilberts_Liste_von_23_mathematischen_Problemen


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