Warum Jesus am Kreuz sterben mußte

Beim Nachsinnen über Schwieriges sowohl in den Wissenschaften wie im täglichen Leben wird meistens gefragt: "Warum?" und nur selten "Wozu?"

Beides ist nicht dasselbe. Mit "Warum?" fragen wir nach den Ursachen, mit "Wozu?" nach dem Sinn, dem Zweck, dem Ziel von etwas Bestimmtem.

Und weil wir so selten nach dem Wozu? fragen, sondern fast immer nur, warum etwas so ist (oder nicht ist), ist es auch nicht ganz leicht, je ein Beispiel für die beiden verschiedenen Fragestellungen anzugeben, die den Unterschied klar machen. Das Folgende möge dazu dienen:

Offensichtlich hat es keinen rechten Sinn zu fragen, warum im Straßenverkehr auf einer Seite gefahren wird. Dafür gibt es keine Ursache, auf die man es zurückführen könnte, wohl aber einen Zweck: dieser besteht darin, Unfälle möglichst zu vermeiden, die verstärkt auftreten würden, wenn es die betreffende Vorschrift nicht gäbe. Regelungen verfolgen Zwecke, Ziele; sie antworten auf die Frage "Wozu?".

Die erste Art zu fragen, nennt man "kausal", die zweite "final". Der Unterschied zwischen beiden kann auch bei einem geistlichen Thema wie dem in der Überschrift genannten von Bedeutung sein.

In einer langen, ausführlichen Abhandlung darüber, warum Jesus so furchtbar leiden und unschuldig am Kreuz verbluten mußte, weist der amerikanische Theologe John Piper einleitend (und besonders deutlich auf S. 16 unten) darauf hin, daß es für uns Menschen nicht sehr sinnvoll ist, diese Frage zu stellen (also das "Warum" zu wählen), weil sich, als Folge unserer geistigen Begrenztheit, anscheinend keine klare Antwort finden läßt. Sehr wohl können wir dagegen erkennen, was Jesu unschuldiges Sterben, welches dem Willen Gottes entsprach, für Folgen hatte, oder, anders ausgedrückt: was Gott mit Seinem Ratschluß, Jesus leiden zu lassen, bezweckte.

Diese betont finale Betrachtungsweise ist ungewöhnlich. Im Internet findet man die Ausführungen von John Piper hier: http://www.clv-server.de/pdf/255534.pdf

Anmerkung: finis (lat.) heißt "Ende", auch "(End)zweck", "Absicht"; das Gleiche sowie "Ziel" bedeutet unter anderem das griechische Wort telos. Deshalb bezeichnet man das finale auch als teleologisches Denken. Es findet sich sowohl als Gegensatz wie auch als Ergänzung zum kausalen Denken in verschiedenen Wissenschaftsbereichen, s. z. B. bei Wikipedia, und spielte zeitweise auch in der theoretischen Mechanik sowie Optik eine Rolle. (Prinzip der kleinsten Wirkung und des kürzesten Lichtwegs. Der hierbei verwendete mathematische Formalismus wurde bis heute beibehalten; der philosophisch-religiöse Hintergrund – Gott ist "sparsam" und läßt Naturvorgänge so ablaufen, daß bestimmte physikalische Größen minimal werden – ist den meisten Anwendern nicht bewußt. In ihm berühren sich Teleologie und Theologie. S. a. Horst Koepernik (2012): Finalität im Naturgeschehen, Gastbeitrag im Webmagazin von Heinrich Tischner.)

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