Das Gleichnis vom ungetreuen Verwalter

Jesus sprach oft in Gleichnissen. Manche waren unmittelbar verständlich und einleuchtend, so z. B. das Gleichnis vom verlorenen Sohn, vom Senfkorn und vom Sauerteig. Andere wurden von seinen Zuhörern, insbesondere den Jüngern, nicht verstanden, zum Beispiel das Gleichnis vom Sämann (Mk 4,1-9).

Weiter heißt es hier (zitiert aus "Hoffnung für alle", 14. Sonderausgabe 2001):

10Später, als Jesus mit seinen zwölf Jüngern und den anderen Begleitern allein war, fragten sie ihn: "Warum erzählst du uns solche Beispiele?" 11Er antwortete: "Ihr versteht die Geheimnisse des Reiches Gottes. Den anderen erkläre ich sie durch Gleichnisse. 12Damit erfüllt sich an ihnen das Wort des Propheten Jesaja: 'Sie sehen, aber sie erkennen nicht; sie hören, aber sie verstehen es nicht. Sonst würden sie ja zu Gott umkehren und ihre Sünde würde ihnen vergeben.' " a 13Zugleich sagte er zu seinen Jüngern: "Aber ich sehe, daß auch ihr diesen einfachen Vergleich nicht verstanden habt. Wie wollt ihr dann all die anderen begreifen?"

aJesaja 6,9-10 (www.bibel-online.net/buch/23.jesaja/6.html#6,9), s. Anmerkung unten

Viel schwieriger ist das Gleichnis vom durchtriebenen Verwalter (Lukas 16, HfA, 14. Sonderausg. 2001):

1Danach erzählte Jesus seinen Jüngern folgende Geschichte: "Ein reicher Mann hatte einen Verwalter. Als er entdeckte, daß dieser seinen Besitz verschleuderte, 2stellte er ihn zur Rede: 'Was muß ich von dir hören? Bring mir deine Abrechnung! Du bist entlassen!' 3Der Verwalter überlegte: Was mache ich jetzt? Meinen Posten bin ich los. Ein Feld umgraben kann ich nicht, und zum Betteln bin ich zu stolz. 4Aber ich weiß, was ich tue. Ich mache mir Freunde, wenn ich arbeitslos bin.' 5Er ließ alle Mäner zu sich rufen, die bei seinem Herrn Schulden hatten. Den ersten fragte er: 'Wieviel bist du meinem Herrn schuldig?' 6'Ich muß ihm hundert Faß Olivenöl geben', antwortete der Mann. 'Hier ist dein Schuldschein!' erklärte ihm der Verwalter. 'Trage fünfzig ein!' 7'Und wie hoch sind deine Schulden?' fragte er einen anderen. 'Ich schulde deinem Herrn hundert Sack Weizen.' 'Hier, nimm den Schuldschein und schreibe achtzig!' forderte er ihn auf." 8Jesus lobte das vorausplanende Verhalten des gerissenen Verwalters. Denn die Menschen dieser Welt gehen klüger und geschickter miteinander um als die Menschen, die sich zu Gott bekennen. 9Jesus erklärte seinen Jüngern: "So klug wie dieser Verwalter sollt auch ihr das Geld einsetzen, das so viele zum Unrecht führt. Helft damit solchen Menschen, die eure Hilfe brauchen. Dann werdet ihr, wenn euch das Geld nichts mehr nützen kann, von Gott einen Platz im Himmel bekommen. 10Doch bedenkt: Nur wer im Kleinen ehrlich ist, wird es auch im Großen sein. Wenn ihr bei kleinen Dingen unzuverlässig seid, wird man euch niemals etwas Großes anvertrauen. 11Geht ihr also schon mit dem Geld unehrlich um, wer wird euch dann die Reichtümer des Himmels geben wollen?"

Wenn man das hört oder liest daß Jesus den gerissenen (in anderen Bibelübersetzungen und auch in der Überschrift zu dieser Seite "ungetreuen") Verwalter lobte, mag man es nicht glauben, ist verwirrt, vielleicht sogar entsetzt. Das paßt doch gar nicht zu Jesus!

Und dabei geht es nicht nur uns so. In der Wuppertaler Studienbibel schrieb der Theologe Fritz Rienecker im Band "Das Evangelium des Lukas" auf S. 377:

"Das Gleichnis vom ungerechten Haushalter ist zu allen Zeiten für die Ausleger eine der schwierigsten Stellen des Evangeliums gewesen. ..." In einer Fußnote auf der nächsten Seite heißt es weiter: "Mathilde Ludendorff nennt dieses Gleichnis sogar das grauenvollste der Gleichnisse. – Kaiser Julian, und später manche Ausleger nach ihm, haben dem Herrn Jesus vorgeworfen, Er habe dem jesuitischen Grundsatz 'der Zweck heiligt die Mittel' gehuldigt. ..."

Kommentar von mir: Das Gleichnis ist schwierig, aber nicht "grauenvoll". Wer sich so ausdrückt, tut dies in herabsetzender, böser Absicht. In der Tat war Dr. med. Mathilde Ludendorff, 1877-1966, eine antichristliche Schriftstellerin (Leseprobe). 1949 wurde sie von der Spruchkammer gegen Anhänger des Nationalsozialismus wegen antisemitischer Überzeugung als "Hauptschuldige" eingestuft (Revision 1950: "Belastete"). Ihr "Bund für Gotteserkenntnis" wurde 1961 wegen verfassungsfeindlicher Betätigung zeitweise verboten. – Kaiser Julian (332-363), nachträglich mit dem Beinamen "Apostata"=Abtrünniger versehen, war der einzige römische Kaiser, der sich vom Christentum abwandte. – Der Vorwurf, Jesus habe dem jesuitischen Grundsatz "Der Zweck heiligt die Mittel" gehuldigt, ist ahistorisch. Der Jesuitenorden wurde erst 1535 gegründet.

Rienecker beschreibt in der Studienbibel aus der Fülle der Auslegungsversuche drei. Im Internet gibt es, zum Teil in abgewandelter Form, noch mehr, darunter die beiden folgenden: www.nikodemus.net/408 und www.sonntagsblatt-bayern.de/02/02-21-26.05.2002_1021989
026-89186.htm
.

In ihnen kehrt der Gedanke wieder, daß mit "Herr" gar nicht Jesus gemeint sei, sondern der Chef des ungetreuen Verwalters. Oder es wird für möglich gehalten, daß der Verwalter dem Menschen allgemein und der reiche Mann Gott entspricht.

Die Überlegungen mit dem Zweck, den negativen Eindruck des Gleichnisses abzuschwächen und schließlich alles wieder ins rechte Licht zu rücken, wirken auf mich zum Teil etwas spitzfindig und gewunden. Selber denke ich daran, daß der Herr Jesus nie etwas aufgeschrieben hat und alles, was wir über ihn wissen, von anderen stammt. Manches wurde erst Jahrzehnte später nach Überlieferungen, die in den christlichen Gemeinden kursierten, schriftlich niedergelegt, einiges noch sehr viel später. Kann es da nicht sein, daß sich hierbei Mißverständnisse eingeschlichen haben, daß aus der Erinnerung heraus falsch zitiert wurde, ohne böse Absicht? Nur GOTT ist unfehlbar; der Mensch ist fehlbar, kann sich irren.

Der letztgenannte, im Internet stehende Predigttext von Ulrike Aldebert, Rundfunkpredigerin und Pfarrerin im oberbayerischen Icking, deutet in diese Richtung. Dort heißt es unter anderem, von mir stark gekürzt:

"In der Tat: Wer das Gleichnis vom unehrlichen Verwalter und die daran anschließenden Verse 9 bis 13 liest, der schüttelt den Kopf. Da wird zunächst eine Geschichte von einem betrügerischen Mann erzählt (1-7), dessen Verhalten als lobenswert und klug bewertet wird (8). Daraufhin wird dazu aufgerufen, sich mit dem ungerechten Mammon Freunde zu machen (9), so wie dieser Verwalter es getan hatte. Unmittelbar danach wird alles bisher Gesagte wieder auf den Kopf gestellt, wenn es heißt: »Wenn ihr mit dem fremden Gut nicht treu seid, wer wird euch geben, was euer ist?« (12) und: »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!« (13). Solche Widersprüche in einem Textabschnitt weisen darauf hin, dass der Text nicht »aus einem Guss« sein kann, dass wir es dabei mit verschiedenen Überlieferungsschichten zu tun haben. Wie in der Archäologie, wenn die Ausgräber eine Schicht nach der anderen abtragen und dabei über jede der zurückliegenden Epochen etwas Interessantes erfahren, können auch wir versuchen, die Entwicklung dieses Textes Schicht für Schicht nachzuvollziehen. Dann könnte sich etwa folgendes Bild ergeben: Jesus hat die Geschichte vom unehrlichen Verwalter etwa so erzählt, wie sie in den Versen 1-7 überliefert ist. Dramatisch schildert er eine Situation, in der ein Mensch gegenüber seinem Herrn plötzlich Rechenschaft ablegen muss. Er hat Angst, dass ihm seine Existenz entzogen wird und er alles verliert, und sucht nun verzweifelt nach einem Ausweg. Die Situation dieses Verwalters ist für Jesus ein Beispiel dafür, wie es einem Menschen gehen wird, der plötzlich vor seinem Gott steht und Rechenschaft über sein Leben geben soll. Jesus rechnete damit, dass das bald geschehen würde. Er redete immer wieder davon, dass das Reich Gottes bald anbrechen und sich keiner diesem Geschehen entziehen können würde. Der Verwalter in seiner Geschichte versteht, dass jetzt die Stunde der Entscheidung da ist. Er setzt alles daran, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Bilanz stimmt. Nicht einmal vor betrügerischen Maßnahmen schreckt er dabei zurück, denn er weiß: Es geht ums Ganze. Diese Haltung, kurz entschlossen alles auf eine Karte zu setzen und sich ganz auf den einen, entscheidenden Moment im Leben zu konzentrieren, findet sich in den Gleichnissen Jesu immer wieder (vgl. z.B. das Gleichnis vom Schatz im Acker und von der Perle, Mt 13,44-46 oder das Gleichnis vom Türhüter, Mk 13,33-37 u.a.). ... Der Der Vers 9 setzt nun ganz neu ein. Wahrscheinlich gehen diese Worte nicht auf Jesus zurück, sondern sie spiegeln die Meinung eines urchristlichen Predigers wider, ..."

Ergänzung:
In der Übertragung des Neuen Testaments von Jörg Zink (Kreuz Verlag Stuttgart, 9. Aufl. 1978) lautet der Vers 9 von Luk. 16:
"Ich rate euch: Wenn euch schon Geld anvertraut ist, an dem das Unrecht klebt und das unzuverlässig ist und vergänglich, dann macht euch wenigstens Freunde damit. Gebt es weg! Denn es geht ja doch zu Ende mit ihm, und eure Chance ist, daß ihr in letzter Stunde vorsorgt in der kommenden Welt!"

Anmerkung noch zum Sämann-Gleichnis:
Der Vers 12, wie oben zitiert, bereitet wohl kaum Schwierigkeiten. In anderen Bibelübersetzungen (auch HfA, neuere Ausgabe, ohne Jg.), z. B. bei Luther, findet man: " 12auf daß sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen, und mit hörenden Ohren hören und doch nicht verstehen, auf daß sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde." Da das etwas altertümliche "auf daß" damit bedeutet, entsteht beim Lesen der Eindruck, daß Jesus seine Gleichnisse absichtlich so vortrug, daß niemand sie verstand und sich bekehrte. Das ist schwer zu glauben. Mark. 4,12 irritiert deshalb ähnlich wie das Gleichnis vom ungetreuen Verwalter. Mehrere Versuche, hier Klarheit zu schaffen, beschreibt die Wuppertaler Studienbibel. Das Internet enthält nur wenig zu diesem Thema. Dort fand ich etwas hier und hier. Letzteres stammt aus einem Buch von Albert Schweitzer.

Hier geht es zu einem anderen, leichter verständlichen Gleichnis, das mir darüber hinaus besonders gefällt.

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